Anſtand, 207
net worden iſt, muß: auch von ihm gefordert und kann bei ihm erzielt werden. Es
ma<t einen ungemein erfreulihen Eindru>, wenn beim Eintritt in eine Dorfſ<hule
alsbald die Anſtändigkeit in Kleidung und Haltung , der dieſem Völk<hen mundgerechte,
aber friſche Gruß , das beſcheidene , aber darum nicht verſchüchterte Benehmen des
Lehrers pädagogiſche Tüchtigkeit uns verräth ; ob ver Fremde , der dur<s Dorf geht,
freundlich gegrüßt wird und Beſcheid erhält oder nicht, das läßt oft einen ſichern
Schluß machen auf die Tüchtigkeit der Ortspädagogen. Unſerem Volk, namentlich in
Schwaben, iſt allerdings ein geräuſchvolleres Benehmen zur Gewohnheit geworden; der
Bauer, der ſeinem Pfarrer auf dem Studirzimmer etwas zu berichten hat, ſpricht aud
da fortiss8imo, wie er in der Kirche und im Wirthshauſe ſtets | ſingt ; aber ebenſo iſt
es erfahrungsgemäß, daß alle diejenigen , welche religiös erwet ſind und in <hriſtliche
Gemeinſchaftskreiſe kommen , dieſes lärmende Weſen vollſtändig ablegen und manierlich
werden, -- ein Beweis, wie auch die Ruſticität, ohne ſich zur Urbanität im ſpecifiſchen
Sinne hinaufzuſchrauben, dennoch durch die ſittliche Macht des Chriſtenthums zum natür-
lichen Anſtande ſich veredelt.
Schließlich) wird man im Ganzen damit einverſtanden ſein müſſen, wenn die Pflege
des Anſtandes vornemlich den Frauen zur Pflicht gemacht wird. Nur wiſſen wir die
Männer darum niht von der Aufmerkſamkeit in dieſer Richtung zu dispenſiren; das
Kind muß erfahren, daß , wenn es mit beſchmußten Kleidern heimfommt oder damit
ausgehen will , dies der Vater ebenſo im Augenblid wahrnimmt und ebenſowenig
duldet, wie die Mutter. Der Mann ſoll ven Verſtoß gegen den Anſtand, überhaupt
das Unſc<höne ebenſo beſtimmt wahrnehmen und ebenjo widrig empfinden, wie die Frau;
nur wird dies bei ihm mehr Folge der Bildung, bei der Frau mehr natürliches Ge=
fühl ſein, aber au< dies bedarf ver Bildung, wenn nicht aus vem Anſtand eine über-
triebene oder ängſtliche Sorge werden ſoll , die jede freie Bewegung hemmt , und die
Höflichkeit in eine ceremoniöſe Förmlichkeit ſich verzerren ſoll , die dem feiner Gebilde-
ien, dem ſie gilt, ebenſo läſtig wird als lächerlich erſcheint. Und wie in Bezug auf
den Crzieher, ſo erſcheint uns auch in Bezug auf ven Zögling die geſchlechtliche Differenz
weniger groß als man gewöhnlich anzunehmen geneigt iſt. Das Mäd<en hat mehr
natürliches Anſtandsgefühl , es folgt inſtinctmäßig dem Trieb , zu gefallen; bei dem
Knaben. beſteht das Correlat hievon in der Furt , ausgelacht zu werden, und gerade
dieſe Fur<t macht ihn blökiſ<. Nun iſt zwar bei vem Knaben, wie bei vem Manne
nicht in der Art der ganze perſönliche Werth dur< das Gefällige der Erſcheinung be
dingt, wie dies vom Mädchen, vom Weibe gilt; der Mann kann den Mangel daran
dur< andere Eigenſchaften vergeſſen machen, das Weib niemals. Aber daraus folgt
nun weder ein gradueller noch ein ſpecifiſcher Unterſchied, den die Erziehung zum Anſtand
zwiſchen der Behandlung des Knaben und des Mädchens zu machen hätte ; dieſe iſt für
beide die gleiche; daß der Unterſchied im anſtändigen Benehmen beider zu ſeinem Rechte
komme , dafür ſorgt die Natur und das Leben. Palmer,
Anſte>ung, ſ. Beiſpiel.
Anſtellung. Unter „Anſtellung“ verſtehen wir die förmliche Uebertragung
einer ſelbſtändigen Bedienſtung. In dem Worte „Uebertragung“ liegt, daß der Änge-
ſtellte von irgend einer Seite her ein Mandat erhält und nicht etwa ſelbſt ſic< dasſelbe
giebt, over dasſelbe von Hauſe aus (vurc< Geburt, Erbſchaft 2c.) beſitzt , oder vtur<'s
Loos erhalten hat. Der Ausdruc> „Bedienſtung“ aber bezeichnet , daß es ſich dabei
niht von einem vorübergehenden, commiſſariſchen Auftrag, ſondern von einem ſtändigen
Geſchäft handelt, wobei es gleichgültig iſt, ob der Organismus der Stelle dem Diener
eine fixe oder widerrufliche Anſtellung, d. h. mehr oder weniger Dienſtrehte gewährt.
Als ein weſentliches Merkmal iſt ferner der Beiſaß „förmlich“ feſtzuhalten. Eine
Anſtellung läßt ſich ohne gewiſſe Förmlichkeiten nicht denken. Die Anſtellung wird in
dieſer Beziehung beſtimmt entgegengeſeht der vorübergehenden Verwendung von ſolchen
Dienern, welche ohne weitere Förmlichkeiten, oder mit Kündigung auf kurze Friſt gehen