Erziehungspflicht und «recht, Erziehungsprincipien. 287
Was die Dauer der Erziehung betrifft, ſo hat die Natur für den Endpunct der-
ſelben keinen ſo beſtimmten Anhalt gegeben, als für den Anfangspunct, und mit Recht
ſagt Gräfe (a. a. O, S. 424 f.) daß die Erziehung viele Anfangs- und Endpuncte
habe. Wie ſchon die Alten indeſſen die Pädagogik von der Andragogik beſtimmt unter-
ſchieden, ſo wird auch in unſerer Geſetzgebung die volle väterliche Gewalt und Abhängig-
keit der Kinder von den Eltern, die bis zur bürgerlichen Mündigkeit des Kindes
reiht, von einer weiter reichenden auch durc< die Majorennität nicht aufgehobenen und
z- B. bei Schließung der Ehe ſichtbar werdenden Wirkſamkeit des elterlichen Einfluſſes
unterſchieden. Die ſelbſtändige Betreibung eines Gewerbes, die Bekleidung eines öffent=
lihen Amtes, bei Mädchen die Verheirathung, muß als der eigentliche Endpunct der
Erziehung. im engern Sinne betrachtet werden, nicht die bloße Pubertät oder gar der
Vebergang in eine auf ven Beruf berechnete Unterweiſung, wodur< für die meiſten
Kinder die Confirmation zum Endpuncte der Erziehung würde (vgl. d. Art. Erziehung
Punct 3). | Flashar.
Erziehungsprineipien, Wir widmen dieſem Gegenſtand einen beſonderen Artikel,
um 1) zu beſtimmen, in welchem Sinne von Principien auc< auf dieſem Gebiete die
Rede iſt, und 2) das Bedeutenvere, was unter dieſem Namen in der pädagogiſchen
Literatur aufgetreten iſt, hiſtoriſch zuſammenzuſtellen. |
1) Das Wort Princip deutet ſchon etymologiſch (princeps) auf etwas irgend einen
Leben8= oder Gedankenkreis , irgend eine reale oder ideale Größe beherrſchenves hinz;
auf eine Einheit, durch welche das Mannigfaltige zuſammengehalten, das Einzelne be-
ſtimmt wird ; auf ein Erſtes, nicht bloß der Zeit nach (in welchem Falle das Erſte
au< das no< Unvollkommenſte ſein kann), ſondern nach der Dignität. Dies kann nun
irgend eine lebendige, eine perſönliche Potenz ſein, ſo daß das perſönlihe Weſen, vas
wir als ein Princip anerkennen , eben dadurch aufhört, bloßes Individuum zu ſein; es
iſt identiſc<; mit einer Realität, es hat nicht nur eine Macht, ſondern es iſt dieſe Macht
ſelber und wirkt als ſolhe. So iſt Ahriman ein böſes, Ormuzd ein gutes Princip ; ſo
nennen wir auf <riſtlichem Lehrgebiete den h. Geiſt ein Princip ; ſo gebrauchen wir
das Wort übertragungsweiſe ſelbſt von Menſchen (z. B. in Schleiermachers „Weihna<hts-
feier" S. 145: „ich merke es ſchon, euer ſchlechtes Princip iſt wieder unter euch, dieſer
Leonhard“ 12c.). Daß dieſe Seite des Begriffs, dieſe Erhebung einer Perſon zu einem
Princip, oder umgekehrt, dieſes Perſonwerden eines Princips auch für die Pädagogik
von Wichtigkeit iſt, wird ſich unten zeigen. Was aber in dieſem Falle ſich perſoniſicirt
hat, was Fleiſch geworden iſt, das iſt immer ein Gedanke, eine Ivee ; und wofern nun
ſol? ein zum Herrſchen geborner Gedanke in einen Begriff oder Satz gefaßt. wird =
mag er nun irgendwo mit einer Perſönlichkeit ſich identificirt haben oder nicht, -- ſo
nennen wir auch ſolhen Begriff oder Satz ein Princip, zu deutſch einen Grundſatz
(z- B. Princip der Souveränität, des Conſtitutionalismus u. ſ. f.). Haben wir es mit
irgend einem Gebiete theoretiſchen Wiſſens zu thun , ſo iſt vas Princip ein Satz, aus
dem ſich alle andern entweder direct ableiten laſſen, over dem ſih do<m, was auc<h aus
andern Wiſſensgebieten entlehnt oder aus der Erfahrung unmittelbar gewonnen wird,
unterordnen, dem es ſich conformiren muß. Haben wir irgend ein praktiſc<es Wiſſen
zu ordnen, ſo iſt das Princip ein Saß, der die Grundregel, den abſoluten Maßſtab
für alle übrigen enthält, ein oberſtes Geſet (vöuos ßaorhindg Jak. 2, 8), das in allen
Geſetzen entweder nur ſeine concrete Anwendung oder Ausprägung findet, oder an dem,
was irgend Geltung und Aufnahme ins Syſtem erlangen ſoll, ſich muß prüfen laſſen.
Principlos kann eine Wiſſenſchaft eben ſo wenig ſein, als ein Mann, d. h. ein Charakter
grundſatzlos ; es liegt im Weſen der Wiſſenſchaft, vaß ſie nicht ein Aggregat, ein Cu-
mulus von wenn auch wahren Sätzen über irgend ein Object, ſondern daß in der
Maſſe Ordnung und Einheit iſt. Dieſe Forderung wie die Möglichkeit ihrer Erfüllung
beruht objectiv auf dem innern Nexus der Dinge ſelber, d. h. darauf, daß ſie von
Einem Scöpfergeiſte einheitlich geordnet ſind (die Welt iſt ein Kosmos, nicht ein