Full text: Sulzer bis Zynismus (5)

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Band macht den Verkehr zu einem gern gewollten. 
Ein älter gewordener Knabe kann dagegen den U. 
mit ſeinen Geſpielen u. Kameraden demjenigen 
mit den Geſchwiſtern vorziehen, u. die Teilnahme 
für dieſe kann ſo ſchwa werden, daß der U. mit 
Schweſtern u. Brüdern wieder zum bloßen Verkehr 
wird. Es kann aud) aus dem Verkehr mit den 
Dienſtboten ſich ein vertrauter U. entwielw, der 
freilich in verſchiedener Hinſicht unter Umſtänden 
zu bedenklichen Folgen führen kann (]. Dienſt= 
boten, Abſchn. 11). 
111, Pädagogiſche Bedeutung des U. Mit 
der Andeutung dieſer Möglichkeit iſt bereit3 der 
Punkt berührt, der dem U. auch in der von uns 
gewählten engern Auſſaſſung pädagogiſche Bedeu= 
tung verleiht. Die U. Pflegenden werden dabei 
ja wohl kaum von erzieheriſchen Abſichten geleitet. 
Aber ihre gegenſeitigen Cinwirkungen treffen in 
auſgeſchloſſene Herzen ; ſie ſind alo eines emp- 
fänglichen u. fruchtbaren Boden3 ſicher. Durch 
den U. werden aud) beide Teile genötigt, ſich mehr 
od. weniger einander anzupaſſen. Der eine muß 
um des andern willen manche Negungen der 
Selbſtſucht u. des Eigenwillen8 unterdrücken; er 
lernt Nückjicht u. Nachgiebigkeit, u, manche allzu 
ſcharfe Ecken ſeines Weſens werden dadurd) abge- 
ſchliſſen. So macht der vertraute Verkehr mit Ka- 
meraden den heranwachſenden Menſchen „umz 
gänglich“. In Familien mit einzigen Kindern 
jollte man daher ſchon um der ſpätern geſellſchaft= 
lichen Brauchbarkeit des Kindes willen beizeiten 
für geeignete Geſpielen Sorge tragen. 
IV. Wahl des U. Segenzreich iſt der gegen= 
ſeitige Einfluß, wenn die zum U. gewählten Ka- 
meraden von reiner Geſinnung ſind u. gute Cha- 
raktereigenſchaften beſißen. Eine ſo glückliche Wahl 
kann natürlich nicht jeder treſſen ; fie hängt in der 
Negel vom Zufall ab. Wenn unſre Zöglinge 
auch ſoviel Scharſbli> beſäßen, daß ſie gerade die 
beſten u. geeignetſten unter ihren Genoſſen u. Ge- 
ſpielen herausſänden, ſo liegen ihnen doch bei 
ihrer Wahl alle diejenigen Erwägungen fern, die 
einen Erzieher dabei leiten würden. Hier wählt 
da3 Gefühl u, nicht der Verſtand. Immerhin wer= 
den 'zu Hauſe gut erzogene junge Menſchen nicht 
gerade die ſchlechteſten unter ihren Kameraden zu 
näherm Verkehr ausſuchen. Von dieſen ſtößt ſie 
ihr feineres Gefühl unwillfürlich ab. Gute Er- 
ziehung im eignen Hauſe iſt daher das empfehlen8- 
werteſte Vorbeugungämittel vor falſcher Wahl 
des U. Mit Verboten läßt ſich nicht viel aus= 
richten, mit Geboten gar nicht3; denn die Nei- 
gung des Herzens läßt ſich nicht befehlen. Das 
ſchließt natürlic) nicht aus, daß man geeignet 
ſcheinenden Verkehr ſeinem Kinde zuführt od. an= 
rät. Die Zeit wird dann lehren, wie ſich beide 
Teile miteinander abfinden. Wo das Kind od. 
der Jüngling eine bedenkliche Auswahl unter 
ſeinen Kameraden getroffen hat, da wird die war- 
nende Vorſtellung in der Regel beſſer ſein al3 ein 
hartes Verbot ;: jene macht die denkende Erwägung ! 
Unanſtändig -- Unartig. 
 
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zur Sciedsrichterin über die Wahl des Herzens, 
ſie macht aufmerkſam u. wachſam ; dieſes aber ver= 
letzt u. reizt zum Widerſpruch. Wenn allerdings 
die ſittliche Gefährdung unſrer Pflegebefohlenen 
dur) verderblichen U. offen zutage tritt, dann 
darf man vor einer gewaltſamen Trennung der 
Verkehr Pflegenden nicht zurüc&ſchreen. Dies iſt 
z- B. unbedingt der Fall, wo der U. zwiſchen 
Jünglingen od. jungen Mädchen zu Verführungen 
u. Verfehlungen erotiſcher Natur führt. Dieſe 
Möglichkeit legt allen Erziehern u. beſonder8 den 
Eltern die Verpflihtung auf, ihre Zöglinge u. 
Kinder in den Entwicelungsjahren hinſichtlid) ihres 
U. beſonders ſcharf, wenn auch unauffällig zu über= 
wachen u. keinen Verkehr zu dulden, der da3 Licht 
der Öffentlichkeit ſcheut u. die Verborgenheit ſucht 
(ſ. Jugendfreundſchaften). 
Die glücklichſten Eltern ſind diejenigen, die e3 
verſtehen, ihren Kindern möglichſt lange ſelbſt die 
beſten Freunde zu bleiben. Dies gelingt freilich 
nur denen, die ihre Kinder möglichſt ſrüh zu wil= 
ligem, freudigem Gehorſam erzogen haben, ſo daß 
ſie im Laufe der Jahre ohne Verluſt ihrer Au= 
torität an Stelle der unbedingten Unterordnung 
ein Verhältnis treten laſſen können, das mehr u. 
mehr den Charakter ſreundſchaſtlichen Verkehrs 
trägt (]. Mutter, Sp. 787). In dieſem Falle 
wird der U. mit den Eltern den jungen Menſchen 
der liebſte ſein ; er wird ſie im Sinne der Eltern 
ihre Freunde u. Kameraden wählen laſſen u. 
jeder ernſten Gefahr, die aus dem U. mit andern 
erwachſen könnte, die Spiße bieten. Beſſeres kann 
man auch dem amtlichen Erzieher nicht empfehlen, 
al3 daß er das Herz ſeiner Zöglinge gewinne 1. 
ihnen ein väterlicher Freund werde. Wenn er aud 
wegen der Gefahr der Bevorzugung einen engern 
U. mit einzelnen Schülern im allgemeinen kaum 
pflegen darf, ſo kann er do) ſeinem Verkehr mit 
allen das Gepräge der Herzlichkeit u. de38 Ver= 
trauens (f. d.) geben 1. dadurc< einen Einfluß 
auf ſie ausüben, der dem des vertrauten U. nahe= 
kommt. Näheres darüber |. im Art. Verkehr zwi- 
ſc<en Lehrer u. Schüler. 
Literatur. Herbart8 Allg. Pädag., Kap. 4; 
E. Barth, Über den U. (41897); H. Weimer, Der 
Weg 3. Herzen d. Schülers (?1908). Vgl. aud) d. 
Art. Lieblofigkeit (Abſc<n. 1). [H, Weimer.] 
Unanſtändig /. Zyni3mus. 
Unartig., 1. Sprachliches u. Pſychologi- 
ſc<he8. Da3 Wort „Art“ bezeichnet nicht bioß 
die Beſchaffenheit eines Dinges im allgemeinen, 
ſondern im beſondern auc die richtige, gehörige, 
einer ungeſchriebenen Norm entſprechende Art u. 
Weiſe des Verhaltens, wie das die Ausdrüde 
„DaZ iſt nicht in der Art“, „außer aller Art“, 
„aus der Art ſ<hlagen“ zeigen. Demgemäß bedeutet 
„artig“ ſoviel als „dieſer guten Leben8art gemäß“; 
1. da dieſe vor allem im äußern Benehmen, in der 
Tadelloſigkeit der Formen, in der Feinheit u. An= 
ſtändigkeit ſich kundgibt, jo will auch der Gegenſaß 
„Unartig“ weniger über die innere Art u. Natur als
	        
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