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Band macht den Verkehr zu einem gern gewollten.
Ein älter gewordener Knabe kann dagegen den U.
mit ſeinen Geſpielen u. Kameraden demjenigen
mit den Geſchwiſtern vorziehen, u. die Teilnahme
für dieſe kann ſo ſchwa werden, daß der U. mit
Schweſtern u. Brüdern wieder zum bloßen Verkehr
wird. Es kann aud) aus dem Verkehr mit den
Dienſtboten ſich ein vertrauter U. entwielw, der
freilich in verſchiedener Hinſicht unter Umſtänden
zu bedenklichen Folgen führen kann (]. Dienſt=
boten, Abſchn. 11).
111, Pädagogiſche Bedeutung des U. Mit
der Andeutung dieſer Möglichkeit iſt bereit3 der
Punkt berührt, der dem U. auch in der von uns
gewählten engern Auſſaſſung pädagogiſche Bedeu=
tung verleiht. Die U. Pflegenden werden dabei
ja wohl kaum von erzieheriſchen Abſichten geleitet.
Aber ihre gegenſeitigen Cinwirkungen treffen in
auſgeſchloſſene Herzen ; ſie ſind alo eines emp-
fänglichen u. fruchtbaren Boden3 ſicher. Durch
den U. werden aud) beide Teile genötigt, ſich mehr
od. weniger einander anzupaſſen. Der eine muß
um des andern willen manche Negungen der
Selbſtſucht u. des Eigenwillen8 unterdrücken; er
lernt Nückjicht u. Nachgiebigkeit, u, manche allzu
ſcharfe Ecken ſeines Weſens werden dadurd) abge-
ſchliſſen. So macht der vertraute Verkehr mit Ka-
meraden den heranwachſenden Menſchen „umz
gänglich“. In Familien mit einzigen Kindern
jollte man daher ſchon um der ſpätern geſellſchaft=
lichen Brauchbarkeit des Kindes willen beizeiten
für geeignete Geſpielen Sorge tragen.
IV. Wahl des U. Segenzreich iſt der gegen=
ſeitige Einfluß, wenn die zum U. gewählten Ka-
meraden von reiner Geſinnung ſind u. gute Cha-
raktereigenſchaften beſißen. Eine ſo glückliche Wahl
kann natürlich nicht jeder treſſen ; fie hängt in der
Negel vom Zufall ab. Wenn unſre Zöglinge
auch ſoviel Scharſbli> beſäßen, daß ſie gerade die
beſten u. geeignetſten unter ihren Genoſſen u. Ge-
ſpielen herausſänden, ſo liegen ihnen doch bei
ihrer Wahl alle diejenigen Erwägungen fern, die
einen Erzieher dabei leiten würden. Hier wählt
da3 Gefühl u, nicht der Verſtand. Immerhin wer=
den 'zu Hauſe gut erzogene junge Menſchen nicht
gerade die ſchlechteſten unter ihren Kameraden zu
näherm Verkehr ausſuchen. Von dieſen ſtößt ſie
ihr feineres Gefühl unwillfürlich ab. Gute Er-
ziehung im eignen Hauſe iſt daher das empfehlen8-
werteſte Vorbeugungämittel vor falſcher Wahl
des U. Mit Verboten läßt ſich nicht viel aus=
richten, mit Geboten gar nicht3; denn die Nei-
gung des Herzens läßt ſich nicht befehlen. Das
ſchließt natürlic) nicht aus, daß man geeignet
ſcheinenden Verkehr ſeinem Kinde zuführt od. an=
rät. Die Zeit wird dann lehren, wie ſich beide
Teile miteinander abfinden. Wo das Kind od.
der Jüngling eine bedenkliche Auswahl unter
ſeinen Kameraden getroffen hat, da wird die war-
nende Vorſtellung in der Regel beſſer ſein al3 ein
hartes Verbot ;: jene macht die denkende Erwägung !
Unanſtändig -- Unartig.
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zur Sciedsrichterin über die Wahl des Herzens,
ſie macht aufmerkſam u. wachſam ; dieſes aber ver=
letzt u. reizt zum Widerſpruch. Wenn allerdings
die ſittliche Gefährdung unſrer Pflegebefohlenen
dur) verderblichen U. offen zutage tritt, dann
darf man vor einer gewaltſamen Trennung der
Verkehr Pflegenden nicht zurüc&ſchreen. Dies iſt
z- B. unbedingt der Fall, wo der U. zwiſchen
Jünglingen od. jungen Mädchen zu Verführungen
u. Verfehlungen erotiſcher Natur führt. Dieſe
Möglichkeit legt allen Erziehern u. beſonder8 den
Eltern die Verpflihtung auf, ihre Zöglinge u.
Kinder in den Entwicelungsjahren hinſichtlid) ihres
U. beſonders ſcharf, wenn auch unauffällig zu über=
wachen u. keinen Verkehr zu dulden, der da3 Licht
der Öffentlichkeit ſcheut u. die Verborgenheit ſucht
(ſ. Jugendfreundſchaften).
Die glücklichſten Eltern ſind diejenigen, die e3
verſtehen, ihren Kindern möglichſt lange ſelbſt die
beſten Freunde zu bleiben. Dies gelingt freilich
nur denen, die ihre Kinder möglichſt ſrüh zu wil=
ligem, freudigem Gehorſam erzogen haben, ſo daß
ſie im Laufe der Jahre ohne Verluſt ihrer Au=
torität an Stelle der unbedingten Unterordnung
ein Verhältnis treten laſſen können, das mehr u.
mehr den Charakter ſreundſchaſtlichen Verkehrs
trägt (]. Mutter, Sp. 787). In dieſem Falle
wird der U. mit den Eltern den jungen Menſchen
der liebſte ſein ; er wird ſie im Sinne der Eltern
ihre Freunde u. Kameraden wählen laſſen u.
jeder ernſten Gefahr, die aus dem U. mit andern
erwachſen könnte, die Spiße bieten. Beſſeres kann
man auch dem amtlichen Erzieher nicht empfehlen,
al3 daß er das Herz ſeiner Zöglinge gewinne 1.
ihnen ein väterlicher Freund werde. Wenn er aud
wegen der Gefahr der Bevorzugung einen engern
U. mit einzelnen Schülern im allgemeinen kaum
pflegen darf, ſo kann er do) ſeinem Verkehr mit
allen das Gepräge der Herzlichkeit u. de38 Ver=
trauens (f. d.) geben 1. dadurc< einen Einfluß
auf ſie ausüben, der dem des vertrauten U. nahe=
kommt. Näheres darüber |. im Art. Verkehr zwi-
ſc<en Lehrer u. Schüler.
Literatur. Herbart8 Allg. Pädag., Kap. 4;
E. Barth, Über den U. (41897); H. Weimer, Der
Weg 3. Herzen d. Schülers (?1908). Vgl. aud) d.
Art. Lieblofigkeit (Abſc<n. 1). [H, Weimer.]
Unanſtändig /. Zyni3mus.
Unartig., 1. Sprachliches u. Pſychologi-
ſc<he8. Da3 Wort „Art“ bezeichnet nicht bioß
die Beſchaffenheit eines Dinges im allgemeinen,
ſondern im beſondern auc die richtige, gehörige,
einer ungeſchriebenen Norm entſprechende Art u.
Weiſe des Verhaltens, wie das die Ausdrüde
„DaZ iſt nicht in der Art“, „außer aller Art“,
„aus der Art ſ<hlagen“ zeigen. Demgemäß bedeutet
„artig“ ſoviel als „dieſer guten Leben8art gemäß“;
1. da dieſe vor allem im äußern Benehmen, in der
Tadelloſigkeit der Formen, in der Feinheit u. An=
ſtändigkeit ſich kundgibt, jo will auch der Gegenſaß
„Unartig“ weniger über die innere Art u. Natur als