267
über das äußere Verhalten etwas ausſagen. Ein
u.e3 Kind braucht durchaus keinen Charaklterſehler
zu haben, aber e8 verſtößt äußerlich gegen die
öſthetiſchen Forderungen, die ſreilich auch hier ſehr
eng u. nahe mit den moraliſchen ſich berühren. Die
Urſachen liegen de8halb auch weniger inangeborner
Eigenart als vielmehr im kindlichen Temperament
Uu. Freiheitögeſühl u. in Unterlaſſungsſünden der
Erzieher, Unarten ſind keine tieſer gegründeten
ſittlichen Mängel, ſondern allermeiſt nur Fehler
uußerer Zucht, die nicht zu ernſt zu nehmen, aber
natürlich auch nicht zu überſchen jind. Wenn ſich
jedoch die einzelnen Unarten häufen u. zu einem
ganzen Habitus ſich entwickeln, ſo entſteht der
Typus des u,en Kindes, da3 ſeine Umgebung
durch ungebärdige3 Weſen, durch Schreien 1.
Schlagen, durch Widerſetlichkeit u. Eigenſinn be»
läſtigt u. deſſen „Streiche“ nicht mehr zu belächeln,
jondern ernſtlich zu beſtraſen ſind, da hier Ge-
ſahr vorliegt, daß der Charakter angefreſſen wird.
11. Erziehlihes, Cbende3zwegen hüte ſich die
Erziehung, beim Außerlichen ſtehen zu bleiben u.
bloß auf „Art“ des Benehmens zu dringen ; ſie
faſſe vielmehr da3 Übel bei der Wurzel an. Artige,
muſterhaſt ſich betragende Kinder ſind durchaus
nicht die beſten; in einem u.en Kind ſteckt ſogar
oft ein viel beſſerer Kern. Das lehtere gibt offen
u. ungeſcheut ſeinen Gefühlen u. Trieben Ausdruck,
während da3 artige ojt auch gern mnartig ſein
möchte, aber heuchleriſch u. du>mäuſeriſch ſich die
Poſe der Bravpheit zu geben weiß. Man erſorſche
alſo auch hier pſychologiſch u. ſuche die in der
Unart verborgen liegende Kraſt der Offenheit,
Wahrhaſtigkeit, Urſprünglichkeit umzubiegen u. in
den Dienſt des Guten zu ſtellen, im übrigen aber
durch die bekannten Erziehungsmittel der Be»
lehrung, Mahnung, Gewöhnung, Strafe das
Kind zur „Art“ zu führen, wodurc< Unarten ſich
von ſelbſt verlieren werden. [H. Mojſapp.]
Vnanſwmerktſamreit, 1. Was iſt U.?
Schon da3 Wort weiſt auf den ege zur Auf-
merljamkeit (f. d.) hin. Wenn die Auſmerkjam-
keit jenen (fei e3 willkürlich herbeigeführten od.
unwillkürlich entſtandenen) Grad des Bewußtſeins
bezeichnet, in welchem gewiſſe Inhalte zu einer
klaren u. deutlichen Erſaſjung gelangen, ſo wird
ſich der Zuſtand der U. dadurch <arakteriſieren,
daß in ihm ebendieſe Inhalte nicht ſo klar u.
deutlich erfaßt werden, wie e3 geſchehen ſollte. Das
ſchließt keinesweg3 aus, daß andre Bewußtſeins»
inhalte im gleichen Augenblicke zu wirklich deutlicher
Beachtung kommen. Daher iſt der Gegenſaß von
Auſmerkjamkeit u. U. kein allwegs ausſchließen»
der. Zur nämlichen Zeit u, na< der nämlichen
Richtung hin können beide nicht im Bewußtſein
zuſammen beſtehen ; aber i<h kann irgend etwas,
was gegenwärtig vielleicht nicht Gegenſtand meines
Aufmerken3 ſein ſollte, mit Auſmerljamkeit be»
achten u. etwas andres, das ich beachten müßte,
unbeachtet laſjen. I< habe dann, wie man zu
ſagen pflegt, „meine Gedanken nicht bei der Sache",
Unaufmerkſamkeit,
268
bin jedoc< de38wegen no< nicht „unaufmerkſam“
im vollen Sinne, Aber meiner augenblicklichen
Aufgabe gegenüber bin ich unaufmerkſam, u. ſolche
relative U. tadelt der Lehrer gemeinhin ſchlecht-
weg als Ü, Er nennt ſie zutreſſenderweiſe „Zer-
ſtrentheit“, weil die geiſtige Kraſt des Schülers
wie zerteilt u. aufgelöſt erſcheint, ſo daß ihre
Sammlung auf den notwendigen Gegenſtand zur
Zeit förmlich unmöglich iſt. Bei normalen Kindern
iſt eben vielſach wohl eine Sammlung vorhanden,
nur nicht am rechten Plaße. Bei nervöſen u. erſt
recht bei neuraſtheniſchen Kindern mag ſie über=
haupt ſchlen; hier ſchwankt die geiſtige Bewegung
beſtändig hin u. her, ohne einmal auf ein be-
ſtimmtes Ziel zuſteuern zu können. Die den kleinern
Kindern natürliche Unbeſtändigkeit der Auſmerk-
ſamkeit iſt auf die Stufe des unſteten Umher-
ſchweifens herabgeſunken. Das äußere Benehmen
verrät in der Negel leicht, ob es ſich bei einem
„unauſmerkjamen Schüler“ um eine durch ander-
weitige lebhaſte Beſchäſtigung hervorgerufene U.
handelt od. um eine nirgends haſtende krankhaſte
Zerſtreutheit. Die leßtere Art bekundet ſich meiſt
in allgemeiner Unruhe (ſ. d.), die erſtere in dem
au8geprägten Gebärdenſpiel der „Geiſte8abweſen-
heit“ u. der Gedankenloſigkeit, außer man hat es
mit geriebenen kleinen Gaunern zu tun, die äußer-
lich mit großer Kunſt den Schein der Aufmerk-
ſamkeit zu erwecken vermögen.
II, Wodurch entſteht die 1.? Faſſen wir
vorerſt die normal veranlagten Kinder ins Auge.
Wie die Auſmerkjamkeit, ſo kann aud) die U. teils
mit Abſicht erzeugt werden teil8 unwillkürlich ſich
einſtellen. Wenn etwa während einer langweiligen
Schulſtunde draußen auf der Straße etwas (z. B.
ein militäriſcher Auſzug) vorgeht, was das Inter-
eſſe der Kinder in Anſpruch) nimmt, ſo wird es
ſchwer ſein, die Auſmerkjamkeit beim Unterrichte zu
halten ; ſie ſ<weiſt unwillkürlich zum gegenwärtig
Intereſſanteca ab. So iſt es auc) bei viel weniger
auffälligen Begebenheiten. Dem Kind geht etwa
während der Lektion plößlich etwas vom Spiel,
von der Lektüre durch den Kopf; in der Puber=-
tät3zeit regt ſich die geſchlechtliche Phantaſie oft
mit auſdringlicher Macht. Die Vorſtellungen ſind
konkret, lebendig, gefühlöwarm, Wie leicht u. gern
folgt der kindliche Geiſt dieſer Lo>ung v. träumt
bei oſſenen Augen von Gegenſtänden, die mit der
ernſten Schularbeit nicht3 zu tun haben! Viel»
leicht reißt ihn erſt die ſtrenge, fühlbare Mahnung
de3 Lehrers aus ſeiner Verſunkenheit. Hier war
das Intereſſe (ſ. d.) der Verführer ; ein direkt dem
Lehrer widerſirebender Wille war nicht wirkſam.
Das Kind weiß ſelbſt nicht, wie es vom Unter-
richt abgekommen iſt. „Jc< habe an etwas denken
müſſen“, iſt vielfach ſeine Entſchuldigung. Natür-
lich gibt e8 daneben auc<h genug Fälle, wo von
Anſang an der Wille zum Auſmerken nicht da
war. Dann paart ſich meiſt die Faulheit (f. d.)
mit der Luſt zu ſchlimmen Streichen. Man benußt
die Abgelegenheit ſeine8 Plaße3 od. die augen»