Full text: Sulzer bis Zynismus (5)

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das Vertrauen. Das gilt bejonder3 auch von dem 
Lehrer, der ohne rechten Plan unterrichtet, vom 
Gegenſtand abſchweiſt, von einem Gebiet zum an- 
dern ſpringt, die Zeit mit Shwähen u. Wihen 
vergendet, bald nicht vom Fle> kommt bald jagt, 
den Stoſſ nicht richtig verteilt, ſondern eine Zeit- 
lang im Darbieten geiſtiger Nahrung kargt, dann 
gegen Schluß des Schuljahres überſüttert, jeht 
auf einmal erreichen will, wa3 nur andauernde3 
Dben bewirten kann, Wie der Unterricht äußerlich 
durch den Stundenplan geregelt ſein muß; u. der 
Lehrer verpflichtet iſt, ſich an die Uhrzeit zu bin» 
den mit Beginnen u. Schließen der Lehrſtunden 
u. Pauſen, ſo bedingt allein die innere Ordnung, 
das ſtuſenmäßige, ſtete Fortſchreiten den Erſolg 
des Lehrens u. Lernens; U. ſchafft keine feſte Grund» 
tage 1. errichtet keinen ſtarken Bau de3 Wiſſens. 
Alle Pädagogen von Einſicht u. Erfahrung haben 
daher ſtets auf ſtrenge Ordnung des Unterrichts 
gedrungen, z. B. Comenius (Didact. magna 
Kap. 13 ff), u. die Erfolge de3 deutſchen Schul» 
weſen3 beruhen vornehmlich auf der ſeit Beginn 
des 19. Jahrh. allmählich durchgeführten Orga= 
niſation der Volk3» u. höhern Schulen. Während 
aber die Schule im allgemeinen die Jugend zur 
Ordnung erzieht, verſäumt das Elternhau3 oft 
ſeine Pflicht, indem e3 die Kinder nicht genügend 
dazu anhält, ſondern ihrem Hang zu Nachläſſig- 
keit u. U. oft durch Schwäche Vorſchub leiſtet, ſie 
nicht an richtige Einteilung ihrer Freiſtunden in 
Arbeit u. Spiel, an Benußung der Morgenſtunden 
zu geiſtiger Tätigkeit, an zeitige3 Zubettegehen u. 
Frühauſſtehen, nicht an Ordnung in ihren Klei» 
dern, Büchern u. Spielſachen gewöhnt, Oſt tragen 
dabei freilich äußere häusliche Verhältniſſe die 
Schuld, wie enge Wohnräume bei großer Kinder- 
zahl, Krankheit, Abweſenheit der Eltern in Fas 
briken ujw. Gerade dürſtige Familienverhältniſſe 
aber machen erſt recht da3 Haushalten zur Pflicht, 
u. ein wichtiger Teil davon iſt die Ordnung. Über 
die Erziehung zu dieſer vgl. Bd 111, Sp, 1003 |f. 
[S. P. Widmann.] 
„Unparteilichkeit ſ. Gerechtigkeit, Partei- 
lichleit. 
Unpünktlichkeit ſf. Pünktlichkeit. 
Unreinlichkeit ſj. Reinlichkeit. 
Unruhe, 1. Weſen. Vorbedingung für die 
Ruhe de3 gejunden Menſchen iſt das Gleichgewicht 
der Seele, die weder durch heſtige Unluſterregungs- 
noch durc) Spannungsgeſühle geſtört werden darſ. 
Körperlich drückt ſich die Ruhe in dem Fehlen haſti- 
ger, zweckloſer u, ungewollter Bewegungen aus. 
Wie aber der ſpiegelglatte See durch den Wind ge» 
fräuſelt, dur den Sturm zu Wellen aufgepeitſcht 
u. durch den Orkan zu hohen Wogen auſgetürmt 
wird, ſo erzeugt auch die Gefühl3- od. Aſſekterre» 
gung im geſunden Körper je nach der Heſtigkeit 
eine U. allerverſchiedenſten Grade3 im Muzskel» u. 
Gefäßſyſtem, die auf zentrale Erregungen beſtimm= 
ter Gehjirnteile (kortikale u. bulbäre Zentren) zurück» 
zuführen iſt. Unter dem allgemeinen Begriff „U.“ 
 
Unparteilichkeit -- Unruhe. 
 
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faßt man von dieſen Zeichen meiſt nur die äußer» 
lich in die Erſcheinung tretenden motoriſchen Ex- 
regungen des Muskelſyſtems zuſammen. Dieſe ſind 
teils unwillkürlicher teils willkürlicher Art, Zu 
den erſtern zählen zunächſt die unmittelbaren Aus- 
drudsbewegungen der NAſſekte, wie Zittern der 
Muzdkeln, namentlich der mimiſchen Muskulatur 
u. der Extremitäten, Lachen, Weinen uſw. Ebenſo 
zeigen ſich bei der U. Inſtinktbewegungen, d. h. 
Bewegungen, die aus einer gewiſſen elementaren 
Erfahrung heraus auf ein beſtimmtes, dem Indi- 
vidunm od. der Gattung nüßliche3 Ziel gerichtet 
ſind. Sowollendie ſchüßenden Inſtinktibewegungen 
eine wirkliche od. vermeintliche Geſahr abwenden. 
Die an Luſt od. Unluſt anſchließenden JInſtinkt- 
bewegungen, wie Zu>ungen, Würgen, Erbrechen 
uſw., treten beſonders im Pubertätsalter auf u. 
neigen dazu, ſich zu Unarten auszubilden. Die 
inſtinktiven Mitbewegungen begleiten den Vor- 
ſtellung8ablauf u. rufen dur< Miterregung ent= 
ſprechender MuzSkeln od. Muskelgruppen Bewe- 
gungen von Kopf, Geſicht, Numpf, Händen od. 
Füßen, ſowie die Erſcheinungen des Nickkens, Trip= 
peln8, Schulterheben3, Stampſens8 uſw. hervor. 
Endlich treten in der U, Neſflexbewegungen (ſ. Ne- 
flex) auf, d. h. Bewegungen, die auf äußere Neize 
hin unter Umgehung des Bewußtjeins einſeßen, 
Von den willkürlichen Bewegungen, welche die U. 
kennzeichnen, ſind das Nichtſtillſiken, Aufſpringen, 
der ſtete Stellung8wechſel, das Spielen u. Tän= 
deln mit den Fingern u. andre zwelloſe Bewe- 
gungen zu nennen, Alle dieje Bewegungen ſind 
als Nückwirkungen des erregten Vorſtellungslebens 
od. de3 erregten Strebe= u. Begehrungövermögens 
od. auch de3 ganzen Seelenlebens auſzuſaſſen. 
Eine plöhliche Störung, zumal aus behaglicher 
Nuhe, der Eindruck de3 Nichtgewachſenſeins gegen= 
über der geſtellten Aufgabe, Widerwillen gegen 
die Art der geforderten Leiſtung, Unzwe>mäßigleit 
od. Falſchheit der zugemuteten Arbeit, Ermüdung 
ujw., das alles ſind Anläſſe, welche die U. mehr 
od. minder ſtark hervorrufen. 
Der Grad der U. hängt von der individuellen 
Beſchaſſenheit de3 Nervenſyſtem3 ab, das auch in 
geſunden Breiten eine verſchiedene Nükwirkung 
zeigt. Hierbei iſt bejonders die richtige Tätigkeit 
der Negulierungszentren der Hemmungsnerven 
von großer Bedeutung, welde die Auſgabe haben, 
eine Bewegung zu unterdrücken od. zu vermindern. 
Weiterhin ſind Alter, Geſchlecht, Temperament, 
Raſſe , Erziehung, Gewöhnung u. Augenblies8= 
ſtimmung von entſcheidendem Einfluß auf den 
Grad der U. der betreſſenden Perſönlichkeit. 
II. Die natürliche 1. des Hindes. Beim 
Kinde tritt die U. in ganz andrer Weiſe auf als 
beim Erwachſenen. Die Kindeöſeele beſißt eine 
größere Erregbarkeit inſolge geringerer Ausbildung 
der Hemmungen im Nervenſyſtem. Infolgedeſſen 
kommt alle8, wa3 da38 Innenleben erſchüttert, ſo- 
ſort u. ungedämpft nach außen zum Vorſchein. 
Da3 Aſſektleben des Kindes iſt aber anderſeits
	        
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