Full text: Sulzer bis Zynismus (5)

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zZUaterrichtösverſahren [. Formaſſinfen, 
Lehrverſahren, Methode. | 
Unterrichtszeit, 1. Arbeit u. Ermüdung, 
Das Lernen iſt Arbeit u. ermüdet den Schüler. 
Um deöhalb die Fragen richtig zu beantworten, 
die mit der Länge u. der Verteilung der U. auf 
den Tag ſowie mit der Aufeinanderſolge der ver- 
ſchiedenen Tätiateiten u. Fächer während der U. 
zuſa:4menhangen, iſt ein Bli auf die Ermüdung 
(ſ. d.) notwendig. Die Ermüdungs3erjſcheinungen 
treten bei körperlicher u. geiſtiger Arbeit gleich» 
mäßig auf. Die körperliche Arbeit wird von dem 
Muztkel verrichtet, der zu jeder Bewegung des 
Nervenreizes bedarf]. Die Musfkelarbeit ſührt eine 
Veränderung in dem Muskel dadurc herbei, daß 
Mitäkelſtofſe verbraucht werden unter gleichzeitiger 
Zuräüclaſſung “mn Schlacken od. Ausfallſtoſſen, 
die wie Giſte auf den Körper wirken. Man hat 
die Ermüdung deshalb auch geradezu eine Ver» 
giſtung genannt. Welche <emiſchen Prozeſſe da- 
bei im einzelnen vorgehen, iſt no< nicht genan 
feſtgeſtellt. Die Ermüdungsabſallſtioſſe wirken 
nicht bloß auf die benachbarten Muzskeln ein, fon» 
dern erreichen durc; Blut u. Lymphbahnen mit 
ihren Wirkungen den ganzen Körper. Die Lei- 
ſtung8abnahme iſt anfangs langſam, ſteigert ſich 
aber bei gleicher Arbeit de3 Muskel5 bis zu gänz- 
licher Unfähigkeit zu weiterer Tätigkeit, Mit jeder 
Muzsfkelermüdung iſt eine gleichzeitige Nerven» 
ermüdung verbunden, die in gleicher Weiſe zu» 
ſtande kommt wie jene. Die körperlich-geiſtige 
Doppelnatur de3 Menſchen bedingt es, daſ; Mus- 
keln u. Gehirn nicht einſeitig bei körperlicher od. 
geiſtiger Arbeit ermüden, ſondern daß die MudSkel» 
ermüdung ſtet3 von einer Nerven- 1. Gehirnermü= 
dung begleitet iſt u. umgekehrt. Daher fühlt man 
ſich nach tüchtiger Körperanſtrengung nicht zu gei- 
ſtiger Arbeit auſgelegt, u. ebenſo hat eine an- 
ſtrengende geiſtige Tätigkeit eine ermüdende Wir» 
lung auf den Muskel zur Folge. Deshalb können, 
im Gegenſatz zu der ſrühern Meinung, die Turn» 
ſtunden, die zwiſchen die der Geiſte8arbeit dienen» 
den Stunden eingelegt werden, keine Erholung 
bringen ; ſie gehören vielmehr am zwe>mäßigſten 
an den Schluß des Unterricht3 (f. Turnen). Die 
Ermüdung hängt neben der Größe der Arbeit von 
vielen andern Umſtänden ab : Gemütsbewegungen, 
Sc<laf, Verdauungsſtörungen, Ernährung. Die 
Ermüdungsſorſchung iſt jogar zur Auſſtellung von 
Ermüdungstypen gekommen. Die indwiduali- 
ſierende Behandlung ſtößt de3halb auf erhebliche 
Schwierigfkeiten, = Für die Wiederherſtellung der 
vollen Friſche u. Leiſtungsfähigkeit gibt es nur 
ein Mittel: Nuhe u. Erholung; daher die Not» 
wendigkeit der zwiſchen die einzelnen Stunden ein= 
nelegten Pauſen (f. d.). Bgl. hierzu anch die Art, 
Stundenplan, Überbürdung. 
[!. Zahl der Wochen- u. Tagesſtunden. 
Die aſtronomiſche Tagezeinteilung in 24 Stun 
den hat mit der Frage, welche Dauer eine Unter- 
richtöſtunde haben ſoll, natürlich nichts zu tun, 
Unterricht8verfahren -- Unterrichts8zeit, 
 
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Die Schule hat die vorgeſundene Stunden-Zeits 
einheit einfach übernommen u. iſt damit auch 
lange Zeit unbeanſtandet aus8gekommen. Erſt die 
Ermüdungösſorſchung hat gezeigt, daß von dem 
Schüler eine geiſtige Arbeit, die ununterbrochen 
eine Stunde dauert, ohne übermäßige Ermüdung 
nicht geleiſtet werden kann. Nach den experimen- 
tellen Ergebniſſen ſteigt anfangs die Leiſtungs- 
ſähigkeit des Schüler8, nach zwei Dritteln der 
Stunde aber fällt ſie raſch (ſ. Pauſen, Abſchn. 1). 
Allerdings findet im Unterricht keine ſo ununter- 
brochene u. gleichmäßige Anſtrengung wie bei den 
Verſuchsausführungen ſtatt; ſonſt hätte die Stun- 
deneinheit ſich längſt als zu groß erwieſen. Auch 
kommen Alter u. körperliche Neife des Schülers 
weſentlich in Betracht. Jüngere Schüler ermüden 
raſcher al8 ältere, bei 9- u. 10jährigen Kindern 
machen ſich in Stunden mit lebhafter Tätigkeit u. 
angeſpannter Auſmerkſamkeit --- Kopfrechnen, 
Sprachübungen -- ſchon nac<h 15 bis 20 Mi- 
nmiten deutliche Ermüdungserſcheinungen bemerk= 
bar. Deshalb jollten in den Unterklaſſen die Un- 
terrichtöeinheiten kleiner als in den mittlern u. 
obern ſein. In den Vollöſchulen mit gleichzeitigem 
Unterricht ſür mehrere Jahrgänge wird dur) den 
Abteilungsunterricht, der eine Halb- u. Drittel- 
teilung der Stunde notwendig macht, ohne wei- 
tere3 Abhilfe geſchaffen. In den höhern Lehr- 
anſtalten iſt man namentlich mit Rückſicht auf die 
Ermüdung zur Kurzſtunde (ſ. d.) übergegangen. 
Ihr Wert iſt noch umſtritten ; die Gegner heben 
bejonders hervor, daß durch ſie Unruhe u. ner- 
vöje Überreizung bei Schülern u, Lehrern erzeugt 
werde. 
Die Zahl der Tage38= u. der Wochenſtunden 
muß außer der dur den Unterricht ſelbſt herbei- 
geführten Ermüdung aud) die übrigen Leben8ver= 
hältniſſe des Schülers berückſichtigen ; neben dem 
Alter die normale Sclaſdauer (ſ. Sclaf), die 
Zeit für das Waſchen, das An- u. Auskleiden, 
für den Schulweg (ſ. d.), für die Mahlzeiten, für 
die Erholung, für Spiele u. freie Beſchäftigung, 
namentlich auch die Zeit für die Hauzarbeiten 
(j. d.). Die verſchiedenen mediziniſchen Sachver- 
ſtändigenkommiſſionen, die ſich mit der Frage be- 
ſchäſtigt haben, ſind nicht zu ganz übereinſtim- 
menden Ergebniſſen gelangt 3; aber alle treten für 
eine Verminderung der Sculſihſtunden in den 
erſten Schuljahren auf 18 Wodenſtunden u. für 
eine Begrenzung dieſer aud) in den obern Klaſſen 
der höhern Schulen auf 28 bi3 30 ein, wozu dann 
no< Singen u. Turnen mit 4 Stunden kommen. 
Das heute herrjhende Wochenſtundenmaß hängt 
wejentlic) auch mit der Lehrplangeſtaltung zu- 
ſammen (). Lehrplan) ; denn das gegenwärtig die 
Lehrpläne kennzeichnende Streben nach möglichſter 
ſioſſlicher Vollſtändigkeit iſt ein Hauptgrund für 
die Stundenvermehrang, während eine aus ein= 
heitlichen Geſichtspunkten hergeleitete Lehnylan- 
geſtaltung die geiſtige Arbeit konzentriert u. de3= 
halb mit weniger Wochenſtunden auskommen
	        
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