ON
N
Arbeiter -IJugend.
und die Mittel und Wege zu beraten, wie die wirtſchafiliche und geijtige
vage der proletariſchen Jugend zu heben find. Die Verhandlungen
vauerien von 2 Uhr nachmittag8 bis 8 Uhr abends und wurden mit
großer Ruhe und Sachlichkeit geführt. Da die Konferenz jich dazu ent-
ichließen mußte, ihre Gauorganijation aufzulöſen, aber doch auch für Die
Jugendlichen Thüringens das Bedürfnis anertannt wurde, eine Zentral-
itelle zu haben, wo die einzelnen Kommiſſionen, Vereine uſw. ihr
Material über die Jugendbewegung ſammeln oder von wo ſie es beziehen
ionnen, ſo wurde ein Gauvertrauenösmann gewählt, 'der ſeinen Siß in
Xena hat. ES ſtcht zu hoffen, daß mit dieſer Ginrichtung, die die Unter-
jtüßung aller Beteiligten finden möge, die Jugendbewegung Thüringens
ncue Förderung erfährt.
<< Soziale Rundſchau 740: 74
Lehrlingsſ<inder.
„Der Lehrling iſt der väterlichen Zucht des Lehrherrn unter-
worfen . . . - übermäßige und unanſtändige Züchtigungen ſowie
jede die Geſundheit gefährdende Behandlung iſt verboten.“
So 8 1273 der Gewerbeordnung. Wie iſt es aber in der Wirklichfcit ?
Leider bört man nur zu häufig davon, daß die Lehrherren und ihre
Stellvertreter in ihrer „väterlichen Zucht“ weit über das Maß, das die
(Gewerbeordnung ihnen erlaubt, hinausgehen. In den meijten Fallen
fommen die Drangſalierungen der durc< Verträge gebundenen Opfer
nicht an das Tageslicht. Beſ<äftigt ſich mal ein Gericht mit Diejen
Dingen, ſo wird häufig ein äußerſt geringes Strafmaß für folchc
Schindereien für angemeſien erachtet. :
Da3 beweiſt auch folgender Fall, dex vor dem Magdeburger Schsffen-
gericht zur Verhandlung kam. UAngeklagt war der Oberkellner des
wotcl3 „Stadt Prag“, namens H. Behrens. Zeugen befunden, daß Ohr=
feigen ſtändig an der Tagce3oxdnung ſind. Gin 16 Jahre alter Lehrling
hatie auf ſeiner Schlaffammer Licht angezündei und badete ſeine FURC,
die ihn fehr ſ<merzten. B. trat ein und ohrfeigte den Lehrling. Gin
andermal goß er dem Lehrling das Waſchwaſſer über den Kopf. Als der
unge Menſc< herunterfam, verprügelte B. ihn mit einem Gummiis=-
ſihlaud. An eincm Ende des Marterwerkzeuges befand ſich Blei,
iv daß ſtarke Striemen entſtanden. Daß B. diecje „Zucht“ nicht zum
erſtenmal ausgcübt, beweiſen ſeine eigenen Aecußerungen zu dem Lehr-
ling, dem er ſagie: „Damit haben die anderen was gekriegt, und damit
firiegſt Du auch was!“ Nachher mißhandelte B. den Lehrling noch durch
Zußtritte. Das Gericht kam zur Verurteilung und erkannte auf 40 Mk.
Geldſtrafe.
Die Befreiung der Arbeiter vom Koſt- und Logiszwang, dem ſolche
Brutaliiäten in erſter Linie zur Laſt gelegt werden müßen, dar? fich
nicht auf dic Gehilfen beſchränken, ſondern, wie es dieſer Fall und hundert
andere Fälle zeigen, muß auch der Lehrling von diejem Zwange be=-
freit werden. Die väterliche Zucht, welche in dem Geſeße ausgeſprochen
iſt, wixd in den meiſten Fällen mißbraucht und dient nur als Vittel zur
zrößeren Ausbeutung der jugendlichen Arbetiskraft.
X
“?
2v2-
Schiffsiungenulo3.
In cincr gewiſſen Sorte von „Jugendſchriften“ wird beranntlich der
Seemannsberuf in beſonders verführeriſchen Farven geſchildert. Mancher
friſche Junge, der ſich in den Feſſeln der Schule oder in ſirenger eltcr-
(icher Zucht tief unglücklich fühlt, träumt vom freien ungebundenen
Secemanns8leben, dem er ſiß in die Arme werfen wolle, ſobald er von
Schule und Elternhaus loskfomme. Faſt jeder einzelne aber, der dieſe
Abſicht ausgeführt, hat ſchon bittere Tränen über die Entiäuſchungen,
die ihn erwarteten, geweint und hat den verlogenen Schilderungen ſeiner
„Geſchichtenbücher“ geflucht. Wie 23 in Wahrheit mit dem Schi>jal
cines Schiffsjungen häufig beſtellt iſt, das zeigte wieder einmal deutlich
eine Gerichtsverhandlung, die dieſer Tage in Hamburg ſtattfand.
Angeklagt waren die Schiffsoffiziere Wulf und Harder von dem
roßen Hamburger Segelſchiff „Erato“ wegen wicderholter Mißhandlung,
dörperverlebung mittels gefährlicher Werkzeuge und Mißbrauch der
- Dienſtgewalt. Auf dem Segler fuhr in idex Zeit vom Juni 1905 bis
wme3rg 19086 ein Schiffsjunge Janſſen, der von den beiden Angeilagten in
aexadezu beſtialiſcher Weiſe mit Tauenden, Hammerſticlen,
Sußtritten uſw. bearbeitet worden ift. Namentlich bat
Wulf, der als erſter Offizier fungierte, den Jungen, der damal3 14 Jahre
alt war, in vichiſcher Weiſe behandelt. Tagtäglich wurde der Junge
von ſeinen Peinigern geſc<unden, in krankem Zuſtande mit
FÜüßenau3s8derKoje (Lagerſtätte) geſtoßen, mit dic>en
Tauen geſ<lagen, bei Kap Horn bei einer Kälte von 13 biz
15 Grad in Hemd und Hoſe an eine Treppe gebunden, über welche die
Sturzſcen hinweggingen, ſo daß der Knabe von oben bis unten naß
var, halbbekleidet nacht3 in der Kälte über eine Siunde an das Steuer-
ruder gefiellt, auf der Necde von Tokfopilla über Bord geworfen
ider Knabe wäre beinahe ertrunken). Auch wurde ihm 'der Inhalt eine3
- Spucnapfes ins Geſicht geſ<leudert und dieſcs8 von dem ſauberen erſten
Offizier mit Hundcdre> eingerieven und fonttige Schwei-
nerxeien mit ihm getricben. Jn bitterer Kältc wurde der Junge
unter die Pumpe geſtellt und mit Seewaſſer, Segeltuch und
Sand geſ<rubbt. Die Schläge mit den Tauenden hinterließen
Striemen auf dem gangen Körper und Beulen am Kopf. In Tokopilla
wurde der mit Froſtbeulen bede>te Junge ins Krankenhaus geſchafft.
Vor dem deutſchen Konſul mußte der Junge alles widerrufen,
iveil die ſauberen Offiziere ihm drohten, ihn auf der Rücreiſe halb =
iotſ<lagen zu wollon, wenn er nicht widorricfe. Vor Gericht wurde?
3wei Briefe verleſen, worin der Junge an ſeine Eltern und an die Braut
des cinen Offiziers ſchreibt, er ſei von den Offizieren ſehr gut behandeit
worden, und habe er einmal Schläge erhalten, ſo ſeien dieſe reichlieh
verdient gewefen. Wie Zeugen erklären, haben die Offiziere dem
Zungen die Briefe diktiert, nachdem ſie des Jungen Briefe er=
brochen hatten. Die Angeklagten ſuchen die Brutalitäten zu beſchönigen,
indem ſic behaupten, nur das ihnen von dem Vater de3 Jungen über-
tragen? Züchtigungsrecht ausgeübt zu haben. Der Staat3anwalt be-
antragte gegen Wulf einen Monat und gegen Harder ganze fünf Tage
Gefängnis. Der als Nebenkläger auftretende Vater des Mißhandelten
jtcllle entſchieden in Abrede, den Offizieren das Züchtigung3recht über-
tragen zu haben, und beantragic eine weſentli höhere Strafe und die
Zuviliigung giner Geldbuße an jeinen Sohn.
Das Gericht verurteilte Wulf zu drei Monaten Gefängnis und zur
Zahlung einer Geldbuße von 200 Mk. und Harder zu einer GefängniS8-
jirafe von einer Woche.
Die Strafe iſt angeſicht38 der Niederträchtigkeiten, die die beiden
Hclden gegen den armen Jungen verübt, gewiß nicht beſonder3 hart zu
nennen. Aber wer hat jezt noch Luſt zum „freien, ungebundenen See-
mannsleben“?
X
Kinder als jtreifende Bauarbeiter. Aus Niederbayern meldet der
zahre3bericht des Gewerbeinſpektlors8: „Vor beſonderem Intereſſe iſt ein
ginderſtreikt, der ſich ganz regelre<ht und mit Grfolg abgewickelt hat.
vach dem Wiederaufbau abgebrannter Vauernhöfe zu Alburg wurden
I9Gulpflichtige Kinder in geſczlich unzuläſſiger Weiſe . . . ver-
wendet. Am eriten Tage wurde dieſe Tätigkeit jedem Kinde mit 60 Rf.
vergütet. Die Kinder beſchloſſen dann einmütig, ihre Arbeit einzuſtellen,
wenn nicht 30 Pf. bezahlt würden, was ſodann zugeſtanden und worauf
die Arbeit fortgeſc3t wurde.“
*
8Rlaſſengegenſätze in den Schulen. Tic Stadt Frankffuria M.
dic auf dem Gebiet des Schulweſens eine führende Stelle einnimmt, bat
im Jahre 1907/08 pro Kopf des Schülers der höheren Knabenlehranitalien
294,95 Mk. bezw., wenn das Schulgeld und der ſehr geringfügige Staats
beitrag aufgerechnet wird, 413,15 Mf. ausgegeben. Pro Kopf der hößere
Mädcgenſhulen wurden 186,92 bezw. 326,27 MEX., pro Kop? der PMtittie
ſidulen 128,04 bezw. 171,56 Mk. und pro Kopf der VLolks5] <ulr
85,10 vezw. 86,80 Mk. aufgewendet. Daraus geht Hervor, daß ein
Schüler der höheren Lehranſtalten die Stadt beinabe 32?8mal ſo viel
roſtet wie ein Schüler der Volksſchulen, und daß au< im Vergleich zu
den übrigen Schularten die Volfsichulen ſchlecht abſchneiden, da für die
hvberen Mädchent<Eulen immer noß das 1%5fa<be der Volfzſchulen ver-
ausgabt wird. |
Um 19 verwunderlicher iſt es da, daß der Magiſtrat unier Führun
dcr Cberbürgermeijtier Adi>es jich wiederholt hartnääig geweigert ba
für die unteren Schulfategorien die allgemeine Lern- und Leh
mittelfreiheit einzuführen, jo daß der Bezug freier Lernmit
nam wie vor in das Gebiet der Armenfürſorge fällt. Aul ein für
von der Stadiverordnetenverfammlung beraiener Antrag, der die
ſtellen der höheren Schulen vermehren und ihre Beſezung aus
Gnade in ein Recht umivandeln wolite, gelangte nur in der verſtümme.
Form zur Annahme, daß auch in Ziutfüunft Vitigeſ und Vodüritiofoit
nachweis ausſchlaggebend fein Jollen.
w
es
3 FT
ir OD
er
EI EI ay
VD
FAV =
'E
2.025
Se
(>? --
e-?
S5 vu
d=
+4.
Co 3
. 1
«
" et
1%)
etzt
ik -
Tie Politik in der Fortbildung5ſ<hule.
Daß in der Fortbildungsichule Bürgorfunde gelchrt wird, iſt
gewiß vernünftig. Die Fortbildung8ſchule ſucht damit nur eine 1Ic<wore
Unterlajungsfünde der BVolksſ<ule Wicder gut zu machen. Was ?ann
es wichtigeres für den jungen Menſchen geven, al38 daß er in das Weſen
dcr Geſellſchaft, in der ex lebt und in dcr ex jpäter wirfen joll, beizeiten
eingeführt wird, daß er von der Einrichtung der Wemceinde und des
Staates, von den Rechten und Pflichten de2 Sicaats8bürger3, möglichſt
früß klare und zutreffende Begriffe bekommt. Freilich liegt die Gefahr
nabe, daß die Lchrer den Schülern nicht klare Begriffe und tatſächliwe
Kenntniſſe von dieſen Dingen beibringen, ſondern daß jie dem Unterricht
ihre eigenen, in irgendeiner politiſchen oder religivfen Meinung be=
fangenen Anſichten zugrunde legen.
Wir wiſſen ja, wic die Fortbildungsſ<gule ganz allgemein zu allerlei,
mit dem Unterricht gar nicht in Verbindung ſtehenden Zwe>en mißbraucht
wird, wie ſie beiſpielSweiſe dazu benust wird, um die freie Jugend=
bewegung und die iurneriſ<en Beſtrebungen der Arbeiterſchaft zu bes
fämpfen. Darum iſt auch von vornhercin zu befürchten, daß der neue
Lchrgegenſtand der Bürgerkunde ganz anderen Abſichten dienen wird.
al38 denen, der Jugend ſtaatsbürgerliche und geſcälſ<aftswiſſenſ<haftliche
Konntniſſe beizubringen. Dieſe Unterrichtsſtunde wird todſicher von
„trebſamen“ Jugenderzichern als willkommene Gelegenheit zur Sozta-
liſtenheße betrachtet werden, und e3 liegen ſchon jeßt Anzeichen vor, daß
cinfach niht Bürgerkunde, ſondern HurrapatriotiSmus und Byzantinis-
mu3 gelehrt wird, daß nicht ſelbſtändig denkende junge Staatsbürger,
S2 ZE
Bom Kriegsſchauplaß "<>
jondern der Obrigkeit jederzeit gehorfſame Untertanen dort gezüchtet
werden ſollen.
Die ſchlimmſten Befürchtungen aber werden übertroffen durch den
Unfug, den ein Berliner Fortbildungsſchullehrer in dieſer Stunde ge-