Full text: Sulzer bis Zynismus (5)

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über jeden veraus8gabten Pfennig kann ich mich 
nur teilweiſe befreunden. Bei jüngern Kindern 
iſt ſie nicht bloß zuläſſig, ſondern auch nötig, 
da dieſe erſt an den Gebrauch des Gelde3 ge= 
wöhnt werden müſſen. Allmählich ſollte jedoch 
dieſe oſſene Nachprüfung zurücktreten u. durd) 
ethiſche Einwirkungen u. vernünftige Belehrungen 
(3. B. hinſichtlich de3 Tabakrauchens, ſ. d.) erſeßt 
werden, Bei ältern Schülern würde eine verartige 
Überwucdhung nicht bloß einen Haupterfolg des 
T. zerſtören, nämlich die Selbſtändigmachung des 
jungen Menſchen u. das daraus entſpringende ge- 
junde Selbſtvertrauen, ſondern nicht ſelten auch 
zur Verlogenheit führen. Dagegen leite man gerade 
die reifern Zöglinge an, für ſich ſelber über Ein- 
nahmen 1. Aus8gaben lüdenlo3 Buch zu führen u. 
beide miteinander in Einklang zu bringen. Schon 
mancher iſt auf dieſem Wege zur Führung der 
Hausgeſchäſte befähigt worden u. vor Schulden- 
machen u. Verſchwendung bewahrt geblieben. Wer 
als Schüler mit ſeinem kleinen T. richtig haus- 
zuhalten lernt, wird al8 Student auch mit dem 
Monatswechſel auszufommen wiſſen. =“ Der Ent= 
wicklung zum Geize begegnet man am beſten da= 
durc<, daß man die Kinder früh gewöhnt, ent- 
weder ſür die eigne Entwicklung u. Förderung od. 
für Zwecke der Wohltätigkeit regelmäßig einen 
Teil des T. zu opfern (ſ. Luxus) z „in einem ſolchen 
Falle würde der Spartrieb wunderbar geadelt durch 
die heilige Carita8, mit welcher er verbündet iſt“. 
Literatur. A. H. Niemeyer, Grundſäße der 
Erzieh. u. de8 Unterr. 1 (91834); V. E. Milde, 
Lehrb. d. allg. Erziehungskunde, 88 246/249; G. 
A. Nayneri, Pädag. i. 5 Büchern (Bibl. d. kath. 
Pädag. XVI [1909] 632 ff) ; L. Habrich , Pädag. 
Pſychol. 111 (1912) 180 ff; J. Hoffmann, Die Er- 
zieh, d. Jug. i, d, Entwicklungsjahr. (? » 31913) 
100. -- Gegen das T. der Mädchen äußert ſich K, 
v. Raumer, Geſch, d. Pädag. 111 (81897) 406 ff. 
[C. M. Noloff.] 
Taſtſinn ſ|. Wahrnehmung, vgl. auch Ge- 
fühl, Sinne8übung. 
Tätigkeitstrieb, 1. Weſen u. Entwick 
lung. Jn jedem Menſchen ringen Betätigung u. 
Auswirkung der Kraft einerſeit3, Hinnehmen u, 
Genießen anderſeit8 gleichſam miteinander. Schon 
baid nach der Geburt zeigt ſich Unzuſriedenheit 
mit bloß paſſivem Verhalten ; mit der Gebrauchs= 
ſähigkeit der Glieder kommt der T. zur Geltung. 
Zunächſt aus dem natürlichen Bedürſni8 der Auf-= 
wendung der Kraſt hervorgegangen u. zur Stei- 
gerung des körperlichen Behagen8 vorgenommen, 
beſchränft ſich der T. auf die körperliche 
Seite. Es kommt hierzu al8dann die Sammlung 
von Erfahrungen, die zuerſt im Gedächtnis auf= 
geſpeichert, dann verknüpft u. verarbeitet werden : 
geiſtige Tätigkeit ſchließt ſich an. Wie ſchon in 
der erſten Entwi>lung Hinderniſſe, die ſich der 
Beſriedigung des T. in den Weg ſtellen, mit 
Äußerungen der Unluſt begleitet werden, ſo ſtellen 
ſich auch ſpäter beim unbeſchäftigten od. in unge- 
eigneter Weiſe ſich betätigenden Kinde Änßerungen 
Taſtſinn -- Tätigkeit3trieb. 
 
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de38 Mißbehagens ein, die vielſach als Ungezogen= 
heit, unleidliche8 Benehmen gedeutet werden, in 
Wirklichkeit aber Gradmeſſer falſcher erziehlicher 
Beeinfluſſung ſind. Der T. macht die Entwick= 
lung von der äußern körperlichen Beweglichkeit 
durch da8 Spiel (ſ. d.), in dem die Kräfte ge= 
braucht werden ohne ſeſte3 Ziel, zur Arbeit (ſ. d.) 
durch. Das erſte Stadium fällt ins Säuglings-= 
alter, das zweite in die vorſchulpflichtige Zeit. 
Vom 6. Lebens8jahre an wird ſodann in mehr od. 
weniger raſcher Entwicklung das Kind vom Spiel 
zur geregelten Arbeit geſührt. Für den mit der 
Beſriedigung des T. verbundenen Seelenzuſtand 
iſt das Vorhandenſein luſtbetonter Gefühle <a- 
ralteriſtiſch. Wird nicht nur oberflächlich u. mit 
halber Kraft den Impulſen des T. gefolgt, iſt noh 
dazu mit der Tätigkeit Gelingen verbunden, ſo 
ſtellt fich jene freudige Stimmung u. Luſt ein, 
die wohl nicht der Zwe> der Tätigkeit, aber ein 
die Perſönlichkeit3entwilung fördernder Faktor 
iſt. Schaffende Arbeit birgt das Erleben der Luſt- 
gefühle beſonders ſtark in ſich. 
11. Bedeutung. Der T. führt das Kind zur 
Sammlung der Erfahrungen, die die Grundlage 
all unſrer Kenntniſſe u. unjres Wiſſens au8machen. 
Willmann weiſt in dieſem Sinne auf das treff= 
lic<e Wort.v. Naumers zuſtimmend hin: „Durch 
Leſen lernt man das Tun nicht kennen, auch nicht 
dur<4) Zuſehen, Erklären= u. Beſchreibenlaſſen, 
ſondern ganz vorzüglich durch Selbſtüben“ (Di- 
daftif [*1909] 409), Hier iſt die Bedeutung der 
aktiven Formen des Bildungs8erwerbs gegenüber 
den paſſiven deutlich zum Ausdru> gebracht. An 
die Selbjtbetätigung iſt ſodann die Willensentfal= 
tung gebunden; denn gerade in der richtigen 
Tätigkeit liegt die Wurzel für die fühl- u. ſicht= 
bare Pflege des Willens, In der geleiſteten Ar= 
beit an dem dur eigne3 Tun geſchaffenen Werk 
liegen Maßſtäbe für die aufſgewandte Willensfraft 
vor, jowohl hinſichtlich deſſen, was an Energie zur 
Betätigung aufgewandt wurde, wie hinſichtlich 
deſſen, was an Willenskraft lebendig wurde, um 
Hemmungen niederzuringen. Daraus geht ſchon 
hervor, daß in der rechten Befriedigung des T. 
eine ſtarke Hilfe für die ſittliche Entwieklung ge- 
geben iſt; abgeſehen davon, daß der T. gleichſam 
eine natürliche Schußeinrichtung gegen den der 
ſittlichen Entwicklung gefährlichen Müßiggang 
bildet, ſtellt er das ganze Leben de3 Menſchen 
auf eine höhere Grundlage, die vom epikureiſchen 
Standpunkt des Genußmenſchen zum Leben in 
treuer Arbeit führt. Der Genußtrieb (f. Genuß» 
jucht) möchte zum behaglichen Vertiefen in die 
zuſtrömenden LebenSreize verleiten ; dem hält der 
T. die ſittlich höherſtehenden Güter der Arbeits- 
ſreude, der hoſſnungsfrohen, tatenfreudigen Stim= 
mung des Erfolges entgegen. Wo auf dem Boden 
des T. zu einem Leben der Arbeit erzogen wird, 
da hat jene mißvergnügte Stimmung, die im 
Widerwillen gegen alle Leben8regungen, in Leben8= 
efel 1. =überdruß ihren Au8dru> findet u. die in
	        
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