Full text: Sulzer bis Zynismus (5)

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worſenen zuredet, ſie ſich gern gefallen zu laſſen". 
Bei dem heranreiſenden Zögling muß der Erzieher 
zur rechten Zeit mit ſeinem Einfluſſe zu enden 
wiſſen, wenn er ſich nicht der Gefahr ausſehen 
will, daß der Zögling das Verhältnis ſelbſt auf» 
löſe. == Die notwendige Vorausſjekhung ſür die 
Wirkung der Z, beſteht darin, daß dem Zögling 
jein beſjere8 Selbſt zum Bewußtſein gekommen iſt. 
An dieſe3 muß ſich der Tadel ſtemmen, wenn er 
wirljam empfunden werden ſoll. Der Erzieher 
muß ſich mit der Z. an die beſſern Seiten der In» 
dividualität wenden, „damit er ewas ſaſjen könne 
zum Hervorheben“. Die ſchöne Kunſt der Z, iſt, 
„dyr< den verdienten Beiſall zu erfreuen“, die 
traurige dagegen, „dem Gemüte ſichre Wunden 
beizubringen“; bei lehterm iſt daſür zu ſorgen, 
daß beleidigende Härten vermieden werden. „Wenn 
dieſelbe Erinnerung mehrmals nötig wird, ſo darf 
ſie nicht zweimal auf dieſelbe Artgegebenwerden.... 
Alle Monotonie, alle3 Matte muß aus der Z. ver» 
bannt bleiben.“ „Der Umfang der Z. muß dem 
Zögling unbegrenzt erſcheinen.“ Der Gedanke, 
ſie zu umgehen, darf im Schüler gar nicht ent- 
ſtehen können. 
Herbart betrachtet unter dem tieſgreiſenden 
Einfluſſe ſeiner ſchweizer Hauslehrertätigkeit die 
Z. von dem Geſichtöpunkte des Cinzelunterrichts. 
Veſjonder3 die Ausführungen in der „Allgemeinen 
Pädagogik“ verdienen eingehende Würdigung. 
Mit Rückſicht auf Klaſjenunterriht u. Schule 
führten Ziller u. Nein die Herbartſchen Über- 
legungen weiter. Rein beklagt e3, daß beſon- 
der3 in unſern höhern Schulen die Lehrer bloß 
Stundenhalter, aber nicht Führer der Jugend ſeien. 
Um lehteres zu ſein, bedarſ e3 vor allem der „Teil- 
nahme an den Spielen, an Spaziergängen, an 
Schulreiſen u. an allem, wa5 das Leben u. Treiben 
der Jugend ausfüllt“ (Nein, Pädag. 111 307). 
Auch die in der Schulerziehung u. dem Zuſammen» 
leben der Zöglinge liegenden ethiſchen u. ſozialen 
Bildungökräſte rückt Rein in helle Belenchtung. 
Literatur. Herbart, Allg. Pädag. ; derſ., Um- 
riß päd. Vorle]. (Die Ausg. erſehe man aus d, Art. 
Herbart) ; T. Ziller, Allg. Pädag. (*?1901); derxſ., 
Gruündleg. 3. Lehre v. erziehend. Unterr. (2? 1883); 
K. VW. Stoy, Enzyklop., Methodol. u. Lit. d. Pädag. 
(?1878) ; E. Barth, Über d. Umgang (1897) ; L. 
Strümpell u. A. Spihner, Pädag. Pathol. (*1910) ; 
W. Rein, Pädag. i. ſyſt. Darſtell. 111 (?1912). 
[J. I. Wolſſ.] 
Züchtigkeit j. Keuſchheit. 
Züchtigung ſj. Körperliche Züchtigung. 
ZuFungen |. Krämpfe, Tic, Veitötanz ; 
vgl. Phyſiognomik (Sp. 1303), Zwangsvorſtel- 
lungen (Sp. 1045). 
Zufiüſiern ſj. Abſchreiben u. Vorſagen. 
Zufriedenheit, 1. Allgemeines. Wenn 
man ſich in der heutigen Welt nach der Z. um» 
ſieht, ſo entde>t man ſie wohl am häufigſten auf 
den ſriſch-ſröhlichen Kindergeſichtern u. dem ruhig» 
abgeklärten Greiſenantlih. Gelingt e3 doch dieſen 
Züchtigkeit -- Zufriedenheit. 
 
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beiden Lebensaltern, von denen das eine noch nicht, 
das andre nicht mehr anſpruchövoll zu ſein pflegt, 
no< am leichteſten, jenen luſtbetonten Ausgleich 
zwiſchen dem Soll 11. Haben dermenſchlichen Lebens» 
rechnung herzuſtellen, in dem derjenige Seelen- 
uſtand begründet iſt, der in dem Begriſſ Z. zu» 
fammengeſaßt wird. Viel ſeltener hat ſich die Z. 
von jeher eingeſunden beim himmelanſtürmenden 
Jüngling, welcher der Zukunft einen rieſigen 
Wechſel präſentiert, u. beim ernüchterten Manne, 
der die Unmöglichkeit ſieht, ihn einzulöſen. Dieſe 
mittlern Jahre ſind e3 auch, in denen die körper» 
lichen u, geiſtigen Vorzüge bzw. Gebrechen bei den 
einzelnen Individuen beſonders ſcharf hervortreten 
u. gegenſeitiges Bergleichen herausfordern. Daß 
aber die Z. leichter Einkehr halten wird bei einem 
Heohenan Sonnenkinde, dem ein geſundheit= 
troßender Körper, ein glückliches Temperament 
beſchieden iſt, als bei dem unanſcehnlichen Erden- 
pilger, dem ſchon ſeine eigne Natur den Daſein3- 
kampf in jeder Weiſe erſchwert, zeigt die tägliche 
Erfahrung zur Genüge. Und do lehrt ſchon eine 
oberflächliche Betrachtung, daß jedem ernſthaft 
wollenden Menſchen, der ſich nicht darauf be- 
ſchränkt, dem Schiſal ratlo8 od. anklagend gegen= 
überzuſtehen, ſondern ſich von vornherein gegen 
jede Geſahr innerer Gleichgewichtsſtörung durch 
geiſtige Überlegenheit u. einen männlichen Cha=- 
rakter zu wappnen ſucht, auch der wahre Seelen- 
ſrieden zugänglich iſt, wenn er ſich die unend»- 
liche Fülle der Formen u. Möglichkeiten vergegen- 
wärtigt, in denen der göttliche Gedanke der Z. 
irdiſche Geſtaltung annehmen kann. Unabhängig 
von Alter u. Geſchlecht, Nangu. Neichtum findet ſich 
die Z. ſowohl am beſcheidenen Tiſche de3 genügſamen 
Tagelöhner3 wie in den Prunkräumen des welt=- 
klugen Multimillionärs ; ſie macht weder Halt vor 
der Kammer des heiligmäßigen Asketen u. genialen 
Denkers noch vor der Türe der Unſchuldigen u. 
Einſältigen. Für jeden gibt e3 ein Objekt der 
innern od. äußern, der diesſeitigen od. jenſeitigen 
Welt, das ſein Daſein lebenswert geſtaltet, ſeinen 
Wünſchen Beſriedigung verheißt. Wenn nun aber 
bereit38 das helleniſtiſch>römiſche Heidentum ſid) 
eine heitre u. ſorgenſreie Leben8weiſe mit den 
Waſſen der Selbſtbeherrichung u, Sittenſtrenge, 
der Selbſtgenügſamkeit u. Unerſchütterlichkfeit zu 
erkämpfen ſuchte, um ſo weniger darf dann der 
gläubige Chriſt an der Möglichkeit verzweiſcln, 
zuſrieden ſein zu können, zumal da ihm überdies 
eine Fülle religiöſer Gnadenmittel zur Verfügung 
ſteht, mit denen er jede3 irdiſche Leiden nicht nur 
zu Überwinden, ſondern in bleibende Jenſeitä3ver- 
dienſte umzuwerten vermag. 
II. Die Erziehung zur Z. Cs beſteht nun 
kein Zweifel, daß unſre moderne „ſreundenmordende“ 
Kultur mit ihren materiellen Daſeins- u. Die3ſeits- 
zwecken, ihrer ſtet3 zunehmenden Diſſerenzierung 
der Arbeit u. der Stände eine tiefe Sehnſucht nach 
idealen Gütern, namentlich nah innerer Z. wach- 
gerufen hat, die dur< den grauſamen, ſo manche
	        
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