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arbeit an der großen württembergiſchen Kirchen-
u. Schulordnung v. 1559, „einem der vortrefſ-
lichſten Schulgeſeße, die in Deutſchland je in Gel-
tung geſtanden haben“ (Koldewey, M. G. P.VDI,
XLVI [), endlich bei der Mitbegründung der würt=
tembergiſchen Kloſterſchnlen, „Anſtalten, durc
welche die Reſormation vornehmlich in Sachſen
u. auch ſonſt manchen Orl13, aber nirgends wie in
Württemberg ſo durc<hgreifſend u. bedeutung8voll
für die ganze theologiſche Richtung, ja das ganze
geiſtige Leben überhaupt (man darf ſagen bis zur
heutigen Stunde) zur Ausführung kam“ (Ch. F.
Stälin, Württ. Geſch. IV [1873] 745), kann an
der großen pädagogiſchen Bedeutung von B.
nicht gezweifelt werden.
Literatur. Vgl. auß. d. im Text gen. Werken :
A. Hau>, Realenzykl. f. prot. Theol. u. Kirche 111
(21897) 376 ff; A. Hegler, Joh. B. u. die Nef.
in Württ. (1899) ; Th. Wotſchke, B. als Katechet
(1900). Weitere Lit. in W. Köhler, Bibliogr. Bren-
tiana (1904) 349 ff u. W. Hayd u. O. Leuze,
Bibliogr. d. württ. Geſch. 1V (1915).
[3. B. Sägmüller.]
Brief, 1. Allgemeine8, Der B. (vom lat.
brevis [ergänze libellus] == furzes Schreiben,
Urkunde ; mhd. brief = überhaupt Geſchriebene3)
iſt al5 natürliches Verſtändigungs8mittel mit einem
Abweſenden ſchon in den früheſten Abſchnitten der
Menjchheitsgeſchichte zu ſinden. So wurde 3. B.
1888 in Tell el-Amarna (Ägypten) das Ton-
taſelarchiv des König3 Amenophis IV. (1375/58
v. Chr.) au8gegraben, das wichtige Diplomaten-
u. andre B.e auf Tontafeln enthält. Keilſchrift
liche B.e wurden in Aſſyrien u. Babylon zutage
gefördert, u. die zahlloſen Papyrusſunde der lezten
Jahre haben uns eine Fülle der intereſſanteſten
B.e aus dem entlegenſten Altertume übermittelt.
Griechen u. Nömer ſchrieben in älteſter Zeit ihre
B.e meiſt auf Holztäfelhen (diptycha, trip-
tycha uſw.), die auf der einen Seite mit Wachs
überzogen waren u. zuſammengelegt wurden, od.
auf Oſtraka (Scherben), gelegentlich auch auf
Bleitafeln, zuleht auf Papyrus, Die verbreitetſten
B.e des Altertum8 ſind die de3 hl. Paulus u.
andrer Apoſtel an die verſchiedenen Chriſten=
gemeinden. Jn der lat, B.literatur ſtehen obenan
die B.e Cicero3 ; zu ihr gehören auch die meiſten
B.e des Mittelalters. Erſt ſeit Mitte des 14. Jahrh.
erſcheintallmählich der deutſche B., der im 15. Jahrh.
eben anfing ſich freier u. natürlicher zu geſtalten,
als der Humani8mus ihn wieder in den Hinter-
grund drängte, Da3 17. Jahrh. wird in Deutſch-
land auc in ſeinen B.en gekennzeichnet durch
Schwulſt u, Fremdwörterſucht. Nach 1650 be=
dienten ſich die Vornehmen faſt ausſchließlich der
ſranzöſiſchen Sprache ; gerade in dieſer Zeit er-
lebte in Frankreich der B.ſtil ja ſeine höchſte
Vollkommenheit (Frau v. Sevigne). Das klaſſiſche
Zeitalter der deutſchen B.literainx beginnt im
2. Drittel de3 18. Jahrh. u. wird hauptſächlich
durch Gellert herbeigeführt, Cine förmliche B.wut
Brenz -- Brieſ.
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bricht an. Die individuelle Ausprägung de3 B.ſtils
erreicht ihre Höhe. Auch Romane in B.en, an-
geregt durch den Engländer Richardſon, entſtegen
u. ſinden in Goethe3 „Werther“ ihre vollkommenſte
Ausgeſtaltung ; ebenſo wird die B.form zu didak-
tiſ<en Zwecken verwandt (Leſſings „Literatur
brieſe“ u. a.). Dieſe Verhältniſſe wurden erſt
umgeſtaltet mit dem Jahre 1848 ; ſeitdem tritt in
zunehmendem Maße Nüchternheit an die Stelle
ſrüherer B.begeiſterung. =- Die heutigen B.hüllen
kamen in der 2. Hälfte des 19. Jahrh. auf u.
wurden zuerſt (nach 1850) in England angefertigt.
IL, Der B, im Unterricht, Wenn infolge der
neuzeitlichen Verkehr3verhältniſſe der B. auch nicht
annähernd mehr die Bedeutung früherer Zeiten
hat, ſo wird er do<h immer als Verſtändigung3=
mittel einen hohen Nang behaupten, dem auch die
Schule Nec<hnung tragen muß. Sehen wir von der
nur für die Halliſchen Anſtalten gültigen Shulord-
nung A. H. Frances u. von Einzelbeſtrebungen
wie denen Chr. Weiſe3 ab, die der Übung im B.-
ſchreiben großen Wert beimaßen, ſo gebührt Chr.
F- Gellert (1715/69), dem viel bewunderten
Klaſſiker des B.ſtil38, das Verdienſt, der Über=
zeugung von der Notwendigkeit eine8 beſondern
Unterricht8 im B.ſchreiben die Bahn gebrochen zu
haben. Seine in der unten angeführten wichtigen
„Abhandlung von dem guten Geſchma> in B.en“
dargelegten Grundſäße wurden im Gegenſaß zu
dem bi3 dahin üblichen gezierten Formelnkram
der zahlloſen „Anleitungen“ dauernd maßgebend
für den B.ſtil : der B. müſſe die zwangloſe, natür»
liche Form eine3 ſchriftlich geführten Geſpräches
haben, nicht die einer Abhandlung. Jn dieſem
Sinne las Gellert nicht bloß ein Kolleg über den
B., jondern erteilte in ſeinem privaten B.wechſel
jungen u. alten Leuten ſelber Anweiſung in der
Kunſt, anziehende B.e zu verfaſſen. Eigentliche
Unterricht5zweke verſo'gte er mit ſeiner berühmten
B.ſammlungu. den entſprechenden beiden Schriften
nicht. Wohl aber tat das Joh. Chriſtoph Stoc>k=
hauſen mit feinen ganz im Geiſte Gellert8 ge=
haltenen „Grundſäßen“ uſw. (ſ. Lit.), u. viele nach
ihm. Bald fordern ſelbſt Schulordnungen, 3. B.
die für die deutſchen Stadt= u. Dorſſchulen der
kurſächſ. Lande von 1773, der deutſchreformierten
Schulen des Hzgt. Kleve u, der Graſſchaft Mark
von 1782 u. a., Anleitung zur Abfaſſung von
B.en. Daß die Philanthropiſten, vor. allem
Baſedow, dieſen Gegenſtand lebhaft aufgriſfen,
verſteht ſich bei ihrer auf das Nüßliche abzielenden
Richtung von ſelbſt. Freilich war damals in der
Schulpraxis von dem erwähnten Grundſaße Gel-
lert8 wenig od. gar nicht3 zu ſpüren. Man ließ
im Unterrichte unbedenklich B.e ſchreiben, die über
Lebenäerſahrung, Verſtändnis u. Intereſſe der
Schüler weit hinau8gingen. Alle möglichen Fälle,
wie Hochzeitseinladungen, Gevatter-, Beileid8-,
Glückwunjch=, Dankjagung3-, Bitt=, Empfeh=
lung3=, Geſchäft8-B.e uſw., wurden vorgeſehen,
u. die Form der auf dieſe Weiſe zuſtande ge=
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