Full text: Sulzer bis Zynismus (5)

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genommenen jungen Mädden einen traulichen 
Charalier bekam, war zugleich der Mittelpunkt 
des anſkläreriſch-republikaniſchen Teile8 der Ge- 
jeltſchaft. Die ſranzöſiſche Herrſchaſt bedrückte den 
Kosmopoliten nicht, wohl aber ſentte die Schwer- 
mut ihre dunklen Flügel über den Alternden, ſo 
daß nach dem Tode ſeiner Frau ein Vormund für 
ihn beſtallt werden mußte. Am 18. April 1818 
ſtarb ex zu Salzdahlum. 
11. Perſönlichkeit u. Lehre. T. iſt eine reich 
begabte u. vielſeitig gebildete Verſtandeönatur z; er 
wird von den Dingen nicht ſo tief getroſſen, daß 
in ihm Gefühle ſtark auſwallen. Viel mehr al3 
Bajedow od. Salzmann iſt er der Typ des rich- 
tigen Auſklärer3, mit Campe u. Noc<how verwandt 
u. jo wie dieſe wenig von Rouſſeau berührt, 
Welche Folgen dieſe Veranlagung mit ſich führt, 
gibt er ſelbſt einmal, ſich mit Peſtalozzi ver» 
gleichend, an: er habe ſich nie von innen ſo ge» 
ſpannt u. durch äußere Umſtände ſich nie ſo ge- 
drängt geſühlt, daß er wie Peſtalozzi ſür die gute 
Sache hätte müſſen ſiegen od. ſterben wollen. Bei 
dieſem Mangel an Märtyrerblut od. dieſer 
„Schlafſheit“, wie er es nennt, vermochte er nir» 
gend tieſe Spuren einer durchgreiſenden Wirljams»- 
keit zu hinterlaſjen. Ohne ſtarke Cigenart, war er 
aber talentvoll u. empfindjam genug, um alle gei- 
ſtigen Negungen der Zeit in ſich aufzunehmen, 
inſoweit ſie intelleltualiſtiſch-rationaliſtiſcher Art 
waren. Was unter dieſen Einflüſſen an neuen Ge» 
danken über Unterricht8- u. Erziehungsweſjen her- 
vorgetreten iſt, iſt von dem räumlich u. auch zzit- 
lich mitten in dieſer Beriegung ſtehenden T. über» 
nommen u. verarbeitet worden, Der heutige Leſer 
findet in ihm den umſaſjendſten Schriftſteller der 
Auſklärungspädagogil, der freilich au wenig od. 
gar nichts Beſonderes, von ihm allein Gedachte3 
auſweiſt. Baſedowſc<he Ideen bilden den Kern. 
Inwieweit dieje u. die bejondern Jdeen T.3 von 
M. Ehlers u. F. G. Neſewiß, imwieweit dieſe alle 
au3 den tieſern Quellen der neuen Zeit geſpeiſt 
werden, wäre genauer Unterjuchung wert, Zeitlich 
gehen Ehlers" u. Neſewitz"' Hauptarbeiten denen von 
T. vorau3. Martin Ehler3 (1722/1800; 1760 
Rektor zu Segeberg, 1769 zu Oldenburg, 1771 
zu Altona, 1776/90 Proſeſſor zu Kiel mit Vor- 
lejungen über Pädagogik) ſchrieb 1766 ſeine „Ge- 
danfen von den zur Verbeſſerung der Schulen not- 
wendigen Erforderniſſen“. Von Friedrich Gabriel 
NRejewitz (1729/1806; nach theologiſchen Studien 
Privatgelehrter in Berlin u. 1774/96 Leiter de3 
Pädagogiums in Berge) erſchienen 1778 „Ge- 
danken, Vorſchläge u. Wünſche zur Verbeſſerung 
der öffentlichen Erziehung". In didaktiſcher Hin- 
ſicht führen die Fäden vielfach zu Gesner3 (ſ, d.) 
„„Sjagoge“ zurück, auf die ſich) T. nicht jelten beruſt 
u. die klar zeigt, daß anch hier die Entwicklung 
keine Sprünge gemacht hat. Den Aufklärungs» 
pädagogen, unter ihnen T., war es beſchieden, 
Forderungen vorausgegangener einzelner zum 
Teldgeſchrei vieler zu machen u. die Begeiſterung 
Trappiſtien -- Träumeriſches Weſen, 
 
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der Zeitgenoſſen hierſür anzuſachen, In dem Ge» 
dankengute T.8 erwieſen 4 Ideen Zukunftskeim» 
kraft: 1. die nachhaltige Betonung der Erziehung 
neben u. durch den Unterricht; 2. die Bevorzugung 
realiſtiſcher Fächer 11. neuerer Sprachen u, die da» 
mit verbundene Forderung einer Neformſchule mit 
realiſtiſchem u. modern-ſprachlichem Unterbau ; 
8. die Zurückdrängung der Grammatik in den 
alten Sprachen zugunſten einer anfänglichen, ſrei- 
lich hier weit übertriebenen „Übungs“=-(Gouver- 
nanten)methode ; 4. in der Methode de3 erſten 
Leſenlernens die erſt heute (3. B. bei F. Weigl) 
fruchtbar werdende Erkenntnis, daß die Schwierig» 
feit im Zuſammenleſen beſtehe, jo daß alſo cher 
vom Ganzen, vom Wort, als vom Teilbuchſtaben 
auszugehen u. daß zu warten ſei, bi3 das Kind 
überhaupt Zuſammenhangende8 erfaſſen kann. 
Die Mängel der T.ſchen Gedankenwelt ſind die 
der Auſklärung8pädagogik (f. d.) überhaupt: Ver- 
ſtändnisloſigkeit für das Metaphyſiſch-Neligiöſe, 
etrdämoniſtiſche Moralbegründung, Überſchätzung 
des Individuellen, daher Spielmethode, aphori- 
ſtiſche Schriſtſtellerei ohne gründliche Syſtematik. 
Literatur. JI. H. Campe, Allg. Neviſion des 
geſamten Schul- u. Erziehungsweſens (Hamburg 
1785/92) Bd 7 8 11 16; Th. Frißſch, Ernſt Chr. 
T., ſein Leben u. ſeine Lehre (1900); derſ,, T.8 
Verſuch einer Pädag., e. ſyſtemat. Darſtell. d. Ziele 
u. Beſtrebung. d. Philanthropi8mus bis 3. IJ. 1780 
(1913; Köhlers Lehrerbibl. 111); Andreä, E. Chr. 
T.8 Pädag. (Progr. Kaiſerslautern 1883); A. 
Gündel, Leben u. Wirken T.3 (1892). 
[F. X. Thalhofer.] 
Trappiſten ſ. Ziſterzienſer. 
Tränmeriſc<es Weſen, 1. Begriffs- 
beſtimmung. Wenn Nuſtan in Grillparzer3 
dramatiſchem Märchen „Der Traum ein Leben“ 
nad) den leßten gewaltſamen Begebenheiten von 
der Brücke in den Bergſtrom ſtürzt 1. zugleich auf 
dem Nuhebette liegt, wenn er ſich windet u. ſtöhnt, 
wenn er die drohenden Geſtalten verſchwinden 
ſicht u. entſeßt vom Lager auſſpringt: ſo hat der 
tieſinnerliche Dichter, der wie kein zweiter das 
Traumleben der Seele verſtand, weil er ſelbſt ſo 
oſt mit oſſenen Augen träumte, „t. W.“ in den 
Zaubermantel der Dichtlunſt gehüllt, ſreilich nicht 
jeine ganze Tieſe er|chloſjen. Denn wie der ſonnen 
helle Tag vom ſchwankenden, blinkenden Lichte der 
Mondnacht , jo unterſcheidet ſich klarbewußtes, 
logiſch ſcharfes Denken des normalen, wachenden 
Menſchen von den ſpringenden, abgeriſſenen, in 
jähem Wechſel gaufelnden Gedankenverbindungen, 
die un3 im Traume verfolgen, beherrichen u. unjre 
Seele mit phantaſtiſchen Bildern erfüllen, ſo daß 
ſich weder das Geſühlsleben nod die Willens8be- 
tätigung in ſonſt gewohnter Negelmäßigkeit, Ruhe 
u. pjychologijcher Treue vollziehen. Man wird 
daher nicht ſchlgehen, t. W. einerſeit3 als eine 
ſeeliſche Cigenart anderſeit3 als eine Krankheit 
anzuſprechen, 
11. T. W. eine ſeeliſche Eigenart. T. W. iſt 
eine vorwiegend germaniſche Eigenart, inſofern es
	        
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