Die Theorie der Bildſamkeit- 11
halten bleibe, ſondern geradezu gefördert und geſichert werde. Der metaphyſiſche
Charakter und damit die Unbeweisbarkeit dieſer Annahme iſt deutlich, aber es zeigte
ſich) au) bald ganz praktiſch die Grenze dieſer Löſung. Die Bildungsinhalte ließen ſich
nicht ſo einfad) aus ihren bisherigen „objektiven“ Zuſammenhängen herausreißen
und in eine neue „pſychologiſche“ Gruppierung einfügen. Sie verloren dabei ihre
Sinnhaltigfeit, obwohl ſid) vielleicht nachweiſen ließ, daß ſie den Begabungen und In-
tereſſen ihr Daſein verdankten, denen man ſie jeht wieder zuordnen wollte. Ander-
ſeits ergab ſic, daß bei ſolder Zuteilung der Inhalte an die „entſprechend" Begabten
und Geneigten keineswegs für dieſe ein geſchloſſener und ſinnvoller Zuſammenhang
von Bildung zu erreichen war, im Gegenteil blieb gerade bei radikaler Zuteilung die
Individualität ein Torſo und die ſo erreichte Bildung in ſi, 3. B. als techniſche, ſprachliche,
mathematiſche Bildung, Stüdwerk. Der Hinweis auf die Dollendung des Ganzen in der
Sülle der Individualitäten konnte -- ganz abgeſehen von ſeiner metaphyſiſchen Srag-
würdigkeit---nichts nüßen, weil eben dur) dieſe Einſeitigkeit der Bildung die Mittel zur
Einſimt des Geſamtzuſammenhanges fehlten, der in Wahrheit in jeder Individual-
bildung anſchaulid) vertreten ſein muß, weil ſonſt keine Individualität, ſondern ein
medjaniſiertes Teilmenſchentum zuſtande kommt. Entſcheidend iſt, daß hier nicht eine
Theorie durd) eine andere Theorie widerlegt wurde, ſondern daß die Bildungsarbeit
ſelbſt den Erweis der Unzulänglichkeit dieſer Theorie der Bildſamkeit für die Frage der
Auswahl und Konzentration der Bildungsinhalte brachte. Wir ſehen heute dieſe Ent-
wielung beſonders deutlich in der Arbeiterbildung, in der Auseinanderſezung Über
Taylorismus und Sordismus, in den eigentümlicen Bemühungen um „Menſcen-
bewirtſchaftung" von ſeiten der Induſtrie, in der Erziehung zum Ulaſſenbewußtſein
im Proletariat, Es bedarf einer Reihe vorhergehender Erwägungen und Crkenntniſſe,
ehe in der Srage der Auswahl und Konzentration der Bildungsinhalte Ergebniſſe ſolcher
Theorie der Bildſamkeit im engeren Sinne ihren Platz finden können. Sie dürfen auf
keine Weiſe überſehen werden in der Geſamtbeſinnung, ſie wirken bedingend und ein-
ſchränkend auf die anderen Überlegungen ein, für einige wenige Gebiete des Unterrichtes
ſind ſie ſogar konſtitutiv, aber man kann niemals aus ihnen ein unabhängiges und ent-
ſcheidendes Prinzip der Anordnung und &uswahl gewinnen. |
2. Die TheoriederBildungsgütergeht-- wieder in ihrer urſprünglichen
Sorm -- aus von dem objektiven Zuſammenhang der Bildungsinhalte und ſeiner Er-
ſchütterung. Dieſer wird begegnet durd) eine Trennung innerhalb des Suſtems. Aus
einem umfaſſenderen, weiter als gültig hingenommenen Zuſammenhang „objektiver
Rulturgüter" wird ausgeſondert ein engeres Syſtem von „Bildungsgütern", deſſen
Beſtandteile na beſtimmten Geſichtspunkten auszuwählen ſind und der Diskuſſion
unterliegen. Hier heißt die Srage: wie wird aus einem Rulturgut ein Bildungsgut?
und es bleibt ganz offen, wie denn die nicht zu einem Bildungsgut umwandelbaren
Kulturgüter im Sortgang der Entwidlung erhalten bleiben ſollen. Als Geſichtspunkte
der Auswahl bieten ſi) dar: der Grad der Rationalität, d. h. alſo der theoretiſch-wiſſen-
ſchaftlichen Erfaſſung der Kulturgüter =- die Wiſſenſchaft wird die entſcheidende
Inſtanz für die Auswahl -- und anderſeits der Grad der möglichen Dereinfachung
(Elementariſierung), ſei es in dem beiſpielhaften Charakter der ausgewählten Teile,
die als Bildungsgüter für eine Vielheit von Kulturgütern zu ſtehen vermögen, ſei es in
der Anpaſſung an die Faſſungskraft der zu Bildenden. Immer handelt es ſich bei dieſer
Umwandlung von Rulturgut in Bildungsgut um eine Intellektualiſierung und in der