14 Die Theorie der Bildungsinhalte
dem bisherigen Verlauf der Bildungsvorgänge nod) keine ſicheren Schlüſſe gezogen
werden können über die künftige Eignung ſolcher Bildungsinhalte für die Bildungs-
aufgabe der nächſten Generation. Cs laſſen ſich allein auf dieſe Weiſe nod keine Kri-
terien für die Auswahl und Uonzentration der Bildungsinhalte gewinnen, ganz ab-
geſehen davon, ob wirklich aud) gleichbleibende Bildungsgüter die gleichen Erlebniſſe
bei immer neuen Geſchlechtern hervorrufen. Jede neue Generation lieſt wohl in Wahr-
heit etwa aus dem Plato oder dem Fauſt, aus den Daten der Geſchichte etwas Neues
heraus, und es iſt möglich, daß dieſes Neue ſehr entgegengeſeßt iſt dem Bildungswillen
derer, die ſolche Bildungsgüter in den Unterricht einſezen. Dazu kommt nun die Viel-
heit der in der älteren Generation erfahrenen und geltenden Bildungsgüter, der Kampf
gegeneinander, die Unſicherheit ihrer Bezüge. Wer entſcheidet? Wer wählt aus, wer
konzentriert die Sülle?
3. Hier ſucht die Theorie der Bildungswerte einzugreifen und in der
Benutzung des Wahrheitsgehaltes der beiden vorhergehenden Theorien do weiter-
zukommen und wirkliche Kriterien der Kuswahl zu gewinnen. Die Theorie der Bildungs-
werte nimmt durchgängig die Erfahrungen der Rulturkriſis ernſt und verfällt ander-
ſeits nicht in den bloßen Pſychologismus der gewöhnlidjen Bildſamkeitstheorien. Ihr
Beweismittel liegt -- in Übereinſtimmung mit der allgemeinen Wertphiloſophie --- im
Begriff der Cvidenz der Gültigkeit der Bildungswerte, zwar nicht mehr in ihrem em-
piriſcjen Zuſammenhang (wenn nicht einfa die alte Vorſtellung der Kulturpädagogik
in die neue Modeſprahe der Werttheorie eingehüllt wird), aber der einzelnen Werte
für ſich, beſtimmter ausgezeichneter Wertordnungen und ſchließlich eines vielleicht ver-
borgenen normativen Zuſammenhanges aller Werte, der gelegentlid) in einer Zukunft
oder in höhepunkten der Entwidlung realiſiert gedacht wird. Die Evidenz iſt dabei eine
geiſtige, nicht eine pſydhyologiſch-intellektuelle, ſie wird alſo vielleicht unzählige Male
nicht ſichtbar, 3. B. einem Zögling nicht, bei deſſen Bildung ſie als Argument dient,
aber ſie liegt jederzeit bereit. Dennoch vermag aud) dieſe Theorie der Bildungswerte
von ſich aus für die Kuswahl und Uonzentration der Bildungsinhalte nicht das zu geben,
was man von ihr erwartet: Befreiung von der Willkür bloßer Machtentſ<heidungen,
unabhängige und gültige Rangordnung der Inhalte der Bildung als eines Zuſammen-
hanges überzeitlicher Werte, ewiger Ideen, allgemeingültiger Schöpfungen des Men-
ſchengeiſtes. Cs kann dabei ganz außer acht bleiben, daß nicht ſelten einfac die Bildungs-
werte mit den zufälligen Bildungszielen, wie ſie etwa in den Unterrichtsfächern ver-
treten ſind, gleich geſeht werden, und auc davon kann man abſehen, daß die Defini-
tionen des Bildungswertes oſt von ſo abſtrakter Allgemeinheit ſind, daß ſie zwar richtig
und evident ſein mögen, aber nichts mehr für die konkrete Erfüllung der praktiſchen
Aufgaben leiſten, ſo beiſpielsweiſe, wenn geſagt wird, der Bildungswert der Geſchichte
beſtehe in der durch die Beſchäftigung mit ihr gewonnenen Befähigung zu hiſtoriſchem
Urteil oder in der Erziehung zu geſchichtlichhem Sinn, wo dann jedesmal in dem Ad-
jektiv das eigentliche Problem verhüllt liegt. Es bedarf aber auch bei unbeſtrittener
Cvidenz von Werten denno< ſehr komplizierter Entſcheidungen, die nicht dur die
Theorie ſelber gegeben ſind, um ſolchen Werten einen Plaß in einem Lehrgefüge zu
ſichern. An den aus einer Theorie der Bildungswerte entwidelten Löſungsverſuchen
des Problems der Auswahl der Bildungsinhalte ſoll das kurz gezeigt werden. .
Da bietet ſich zunächſt der Begriſf des Klaſſiſchen an. Spranger beiſpielsweiſe
ſicht im Rüdgang auf ihn als Prinzip der Auswahl und Konzentration einen Ausweg