Motto: Allyie allewege gut deut!
I. Der Streit.
So weit die deutfche Zunge flingt und der gebildete Deutjche mit
Tinte und Feder hantiert, jo weit wurden in den lebten zwei Jahr-
zehnten die Schallwellen eines Streite® getragen, der, urjprünglich
nur enge Fachkreife berührend, allmählich eine eminent praftijche
Bedeutung erhalten Hat: das ift der Streit über das deutjche
Schrift-Alphabet.
Ein Berg von Schriften und Brochuren ift dariiber bereits erjchienen;
hunderte von Vorträgen find in der Sache gehalten worden; Lehrer-
Kollegien, Bezirks- und Landeslehrer-Konferenzen haben jich damit be=
ichäftigt; der allgemeine fächfifche Lehrer-Verein Hat jogar ein vejultat-
[ofe3 Preisaugsfchreiben deswegen veranitaltet.
Damit ift nur erreicht worden, daß jeder jeine berechtigten oder
unberechtigten Eigentümlichfeiten um jo fejter hält und daß fich Die
deutiche Lehrerichaft in ungefähr jo viel Parteien gefpaltet hat, wie der
deutsche Reichstag.
Die einen betrachten unfere bisherige deutfche Schreib- oder Kurrent-
ichrift als einen integrierenden Teil des deutfchen Volfstums. Cie
fürchten, daß mit den alten Schriftzügen auch die alten Tugenden unferes
Volkes zu Falle fümen und geben dadurch der Frage einen politischen
und ethifch-focialen Hintergrund. Darum darf fein Schnörfelcden ge-
ändert werden.
Die anderen jegen fi fühn über diefe Bedenken hinweg. Sie
möchten eine Art Weltbürgertum, eine Verbrüderung mit den Fran-
zofen, Briten, Amerikanern und allen lateinischen oder romanijchen
Bölferfchaften, indem fie die Aurrentfchrift Eurzerhand über Bord werfen
und allgemeine Anwendung der Kurfiv- oder englischen Schrift empfehlen.
Wieder andere erwarten alles Heil von der Nundjchrift und er-
£lären beide bisher gebräuchlichen Alphabete für überflüflig.
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