Full text: Die deutsche Schule - 4.1900 (4)

Bildungsideale des achtzehnten Jahrhunderts. 
Von Heinr. Sundermeyer in Hannover-Tänden, 
Unter den Bildungsbestrebungen, die das achtzehnte Jahrhundert beson- 
ders kennzeichnen, nehmen der pädagogische Pietismus und der Philan- 
thropinismus die wichtigste Stelle ein. Mit dem Ausdruck Pietismus be- 
zeichnet man in der Regel eine religiö3ce Bewegung, während man unter dem 
Philanthropinismus lediglich eine pädagogische versteht. Die beiden Begriffe 
Sind also in dieser Bedeutung einander nicht nebengeordnet. Der dem Pietismus 
entsprechende Ausdruck ist Rationalismus. Aber PhiJanthropinismus und Rationa- 
Jismus Sind nur zwei Seiten einer „alle Lebensgebiete durchdringenden welt- 
und kulturgeschichtlichen Krisis und Revolution“, der 80ogenannten Aufklärung.) 
Für die Erziehungsbestrebungen der Pietisten müssen demnach besonders 
die religiögen, für die der Aufklärer aber die das gesamte Leben des Menschen 
betreffenden AnsgSichten von Bedeutung Sein. Wir können uns aber bei beiden 
auf ihre Meinungen über das Wesen und die Bestimmung des Mengchen be- 
Schränken, weil Sie entscheidend Sind für die Aufstellung des Zieles der EKr- 
ziehung. Bei unsern Untersuchungen werden wir uns hauptsächlich auf die 
Männer des Pietismus und der Aufklärung beziehen, die für die Schulerziehnung 
in erster Linie in Frage kommen. Es Sind Aug. Herm. Francke für den 
Pietismus und Joh. Bernh. Basgedow, Joach. Heinr, Campe und Christ. Gotth. 
Salzmann für den Philanthropinismus. 
1. Der pädagogische Pietismus Ist, Soviel wir Wissen, ganz unberührt 
geblieben von den gleichzeitigen Bestrebungen John Lockes, dem mensgchlichen 
Leibe zu Seinem Rechte zu verhelfen. Er hält noch ganz an der mittelalter- 
lichen Anschauung fest, Wonach der Körper nur ein ganz minderwertiger Teil 
des MensSchen ist. Der Gegenstand der pietistischen Erziehung ist die mensch- 
liche Seele, Sie ist das Kbenbild Gottes. Aber dieses Kbenbild Gottes ist 
durch die Sünde im Menschen verdunkelt,*) und er ist dadurch in „tiefes Ver- 
derben und grosses Elend“ geraten.*) Christus ist aber das „vollkommene 
Sühnopfer für ungere Sünde“,?) für die Erbsünde 80wohl als auch für die wirk- 
1) Krdmann, Grundriss der Gegschichte der PhiloSophie. Berlin 1870. Bd. 2, 
vo. 233. | - 
?) Francke, Kurzer und einfältiger Unterricht, in Richter, Franckes Schriften. 
Leipzig, Hesse. S8. 55. 
8) Francke, Über Moral und Glauben, ebenda, S. 114. 
4) Francke, Kurzer und einfältiger Unterricht, ebenda, 8. 57.
	        
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