we
heben wird.
Schwelle einer neuen Kulturepoche,
Dieſe Zeitung erſcheint jeden Freitag
und iſt dur&< alle Buchhandlungen und
Poſtanſtalten (Nr. 3756) zu beziehen.
X. Jahrgang.
Hierzu eine Beilage.
Reujahrsgedanken.
Motto: „Die Wahrheit wird euch frei machen“.
Wie ver Bergmann zur neuen Schicht, ſo rüſten
wir uns zur Arbeit des neuen Jahres: Glü> auf !
Dunkel liegt der Zukunft Schoß. Was birgt er ?
Wohl hoffen wir, ihm reihe Shäße zu entheben.
Bewahre uns nur der Himmel vor ſchlagendeu
Wettern und den zerſtörenden Waſſern der Tiefe !
Glück auf!
„Dein Neujahrs8gruß klingt ein wenig ſc<wer-
mütig, Freund, faſt mö<ht' im ſagen „ahnungs:
grauend! Was iſt's, Kaſſandra?“
Spotte nicht, lieber Leſer, die Zeiten find un-
heimlich. Unter ver Winterdecke der Reaktion regen
ſich tauſend und aber tauſend Keime des Werdenden.
Die Frühlingsſtürme können nicht ausbleiben. Wer
Augen hat zu ſehen und Ohren zu hören, der merkt
wohl das Herannahen de3 Kampfes zwiſchen den
(Slementen des Licht8 und der Finſternis. Die
erſten Geiſtesſ<lachten | ſind ſhon längit geſchlagen.
Die Parole iſt bereits gegeben: „Hie alter, hie
neuer Glaube! Hie alte, hie neue Welt!“ Bald
wird ſie in den Maſſen wiederhallen Die Ruhe
an der Oberfläche darf uns nicht täuſchen, ſie iſt
eitel Schein. E3 knat in allen Fugen. Gin
unabweisbar dringendes Bedürfnis beherrſc<t, wie
in früheren dumpfen Zeitläuften, ſo auch in unſerer
ſchweren Zeit, ver Not die Menſchheit; eine ge-
waltige, eine unwiderſtehbar gewaltige Sehnſucht
ergreift alle Kreatur; Wahrheit! == „Was iſt
Wahrheit?" Wir wiſſen es niht. Aber das wiſſen
wir, daß das Leben dex Gegenwart in ſeinen <a-
rakteriſtiſchen Zügen nicht „auf Wahrheit beruht.
- Weder in Staat und Geſellſ<haft, noh in der Kirhe.
Wir wollen freies Menſ<hentum -- und haben das
Gotte8gnadentum und den Polizeiſtaat; wir wollen,
daß allen Menſchen geholfen werde =- und ſehen
dem Mammon gegenüber das Geſpenſt der Maſſen-
- armut dem Zolk entgegen grinſen ; wir wollen Ge-
danfen- nnd Glaubensfreiheit =- und laſſen die
Vernunft in den Banden mittelalterlicher Befangen-
heit verkümmern. Die Wiſſenſchaft iſt kühn voran-
geſchritten ; aber ſie ſucht, wie weiland Diogenes,
mit ihrer Laterne Menf<en, die aus den theoreti
ſchen Errungenſchaften die praſtiſ<en Konſequenzen
ziehen. Nur auf einem Gebiete hat ſie bislang
- folgenſchwere Siege gefeiert, auf dem Gebiete der
Technif. Und das iſt dex Stüßpunkt, von dem
aus ſie die gegenwärtige Welt aus den Angeln
In der That, wir ſtehen an der
einer neuen
Weltordnung. Die Löſung der ſozialen Frage iſt
die umfaſſende Jdee, deren Realiſierung die Brüce
von der Gegenwart in die Zukunft bedeutet; ſie
iſt der leitende Grundgedanke der geſamten Fort«
rittsbeſtrebungen unſeres Zeitalters. Aber noch
Verantwortliher Redakteur:
Hamburg, Freitag, den 1. Januar 1886.
ſteden wir mitten im Zweifel, noh ſind wir auf
der Suche nach der Wahrheit. Darum der Mangel
innerlicher Befriedigung, die unſere widerſpruh3-
volle Zeit nicht zu gewähren vermag; darum die
nagende Pein in dem Zuſtande der allgemeinen
Ungewißheit und Unſicherheit. Inzwiſ<en geſchieht,
wa3 Börne ſo beißend als treffend ſagt: „Seitdem
Pythagoras den Göttern eine Hekatombe geopfert,
zittern alle Ochſen, wenn eine neue Wahrheit ent-
debt iſt.“ Die Vertreter der alten Ordnung aber,
die herrſchenden Gewalten, ſie gebrau<en den gan-
zen Apparat ihrer Machtmittel, um die gefährliche
Unterſtrömung niederzuhalten. Wahrlich, es iſt fein
Wunder, wenn va die Dur<ſc<nitt3menſ<hen lieber
ſich duden, als mucen ; daß ſie den Jugendidealen,
wenn ſie ſolche gehabt, Valet ſagen und in dem
alten Sumpfe mitwaten. Die Korruption des öf-
fentlichen Lebens ſteft an wie die Veſt. Reiche
dem Teufel der Heuchelei und Lüge den leinen
Finger =. und er hat die ganze Hand. Mehr
denn je gilt heute das Dichterwort :
„Wer die Wahrheit denkt, der muß ſon ein
Pferd am Zügel haben?
Wer die Wahrheit ſprißt, der muß ſchon den
Fuß im Bügel haven :
Warheit übt, der muß ſfiatt der Arme
Flügel haben =
Und doh ſagt Mirza Schafiy : Wer da lügt,
muß Prügel haben!“ --
So fehen wir das Bild der Zeit. Wenn es
dem Leſer nicht gefällt, uns gefüllt es auch nicht.
Wer die
'Doch verzweifeln wir deshalb nicht an dem end-
lihen Siege der Wahrheit und Freiheit. Die
Idee der Menſchenwürdigkeit, einmal geboren , lebt
und kann niht unterdrückt werden. Sie trägt den
Ste“ „pel der Notwendigkeit und muß darum früher
ode. ſpäter in die Erſcheinung treten. |
Und was haben dieſe Weltbetrachtungen mit
der Schule zu thun? Sehr viel! Die Sdule iſt
ein Brodukt der Zeit. „Wer die Schule hat, hat
die Zukunft.“ Sie iſt darum das Streitobjelt der
kulturfortſhrittlihen und fulturrüFſhrittlihen Par-
teien. Sie iſt gleichſam ein Miniaturbild der
großen Zeitbeſtrebungen. Aud unſere heutige Schule,
beſonder3 die Volksſchule, ſpiegelt den inneren Wi-
derſpruch, die Inkonſequenz der obwaltenden Welt-
anſhauung wieder. Die Poſtulate der exakten Wiſ-
ſenſchaften finden mehr und mehr Aufnahme in den
Lehrplan der Schule, doh iſt gerade der letzteren
gegenüber der Wiſſenſchaft Halt! geboten worden.
Wir lehren neben Phyſik und Chemie die altteſta-
mentliche Schöpfungsſage und die Wundergeſchichten,
neben der Mathematik und Aſtronomie die Dogmen
des lutheriſchen Katehi3mus, neben der menſ<<lich-
freien und ſchönen Moral unſerey Litteratur die
zumteil recht anſtößigen Vorbilder aus der alten
jüdiſ<en Geſchichte, neben der Kulturgeſchichte den
Franzoßenhaß u. dal. m. Wir haben konform der
Standesgeſellſhaft die Standesſ<hule; wir fordern
aus der Jdee der ſozialen Gleichberehtigung die
Harro Küöhnt>e,
Fettſtraße 36.
Verlag von C. Boyſen, gr. Bleichen 32.
Annoncen und Beifagen werden von dem Redakteur Harro Kößnc>ke, Fettſtr. 36 und von ſämtlichen
Annoncen - Expeditionen entgegengenommen.
bei direkter Zuſendung h 1,70. Inſerate
pyro Retitzeile 20 A.
RERE
Ar. L
allgemeine Volksſhuls. Kein Zweifel, die Volks-
ſchule hat ſich in den lezten Dezennien ungemein
gehoben, unſere hamburgiſche ganz beſonders. Das
erfennen wir dankbar an. Aber e3 bleibt noh ein
große3 Stü zu thun übrig; niht3 mehr und nichts
weniger, als ſie der modernen Bildung entſprechend
zu organiſieren, ſo daß fie in allen Dingen dex
Wahrheit die Ehre giebt. Das wird aber nicht
eher geſchehen, als bis das Rad der Zeit über
mancherlei veraltete Inſtitutionen und traditionelle
Vorurteile hinweg gerollt iſt. Von der neuen Ge-
ſellſ<aft wird die Reform der Shule ausgehen und
befeſtigend auf ſie zurückwirken. Darum glaubten
wir uns beauftragt, unſeren Neujahr3gedanten einen
etwas weiteren Spielraum gewähren zn dürfen.
Volk und Shule in inniger Wechſelbeziehung auf
der Grundlage der Wahrheit, Freiheit und Gerechtig-
feit, das ſei und bleibe unſere Loſung! Zn dieſem
Sinne noch einmal zum neuen Jahre ein kräftiges
GlüF auf!
„FSnfwurf eines neuen Zevgnisbuches.
(Eingeſandt).
In ſeinen lezten Sizungen hat ſich der Ver-
ein der hieſigen Hauptlehrer mit der Herſtelhung
eines Formular3 zu einem neuen Zeugnisbuche be-
ſhäftigt. Da wir in Lehrerfreiſen ein großes In-
tereſſe für dieſe Angelegenheit vorausſeten, ſo teilen
wir in Nachſtehendem den in der lezten Verſamm-
lung, am 15. Dez. , angenommenen Entwurf mit.
(Dieſes Schema iſt für eine Mädchenſchule be-
ſtimmt, das für vie Knabenſchulen erfährt natürlich
eine leine Modifikation i in den bezügli<en Fächern.)
Titelblatt.
Shulzeugniſſe
für
N. N.
geboren dn. uuuoo non eieie enim in nn 0 18 .
aufgenommen Dd. cue nob one nien nr m 18...
in die
öffentlihe Volksſchule des . . . . Sc<ulbezirks
„eo wnn» No... ..
Abſtüfung der Zeugniſſe:
für Betragen und Ordnung: 1. fehr. gut, 2. gut, 8,
tadelnswert, 4. ſchlecht“ .
für die übrigen Zeugniſſe: 1. ſehr.“ gut, -27gut, 32 ge... un
nügend, 4. mangelhaft, 5: uigenügend.
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