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Albrec<t Ritſ<l's Lehre von Gott,
dem Menſchen und dem Gotitmenſhen.
Von Oberpfarrer Dr. Wandel.
Seit langer Zeit iſt in der evangeliſchen Kirche Deutſchlands
über keinen Gegenſtand ſo eifrig verhandelt worden, wie über die
Lehre, welche der Göttinger Profeſſor der Theologie Albrecht
Ritjchl von der Rechtfertigung und Verſöhnung aufgeſtellt und
in einem gelehrten dreibändigen Werk, deſſen erſter Teil die Ge-
ſchichte der Lehre, deſſen zweiter die Begründung derſelben aus der
Schrift und deſſen dritter das Syſtem des Autors enthält, der
theologiſch geſchulten Welt vor Augen geführt hat. Wir jagen
mit Abſicht : der theologiſch geſchulten Welt, weil außerhalb derſelben
ſchwerlich jemand das Ritſchl'jche Buch zurhand nehmen, oder wenn
dies, es doch gewiß nicht leſen wird. EZ iſt, beſonders im leßten
ſyſtematiſchen Teil, mit einer ſo eigentümlich ſchweren Feder
geſchrieben, die Gedanken verſchlingen fich unter einander fo eng,
der Verfaſſer bedient ſich einer ſo ſtrengen ſc<hulmäßigen Ausdru>s-
weiſe, daß man ſich in dem Gewirr ſeiner Thejen und Antitheſen,
feiner negativen und poſitiven Beweisführung mit ihren feſtge-
ſchürzten Knoten, wie in einem amerikanijchen Urwald vorkommt,
durch deſſen Schlinggewächſe der Leſer ſich einen Pfad zu bahnen
hat, was freilich nicht anders möglich jein dürfte, als dadurch, daß
man, die Feder ſtatt des Beile3 in der Hand, recht3 und links den
aufgeſpürten ſ<malen Fußpfad des Gedankens von dem Gewirr
des ſich kreuzenden demonjtrativen Beiwerks zu ſäubern verſucht.
Hat man mit unſäglicher Geduld das verſchlungene Knäuel fein
ſäuberlich abgerollt, al8dann ergiebt ſich das Gedankenſkelett, welches
des Autors eigentliches dogmatiſches Syſtem darſtellt, und über
welches zur Zeit der Streit geführt wird.